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VERSTÄNDNIS
TAURIS oder Catterinas Entjungferung.
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Geneigter,
nicht hoch genug
zu verehrender Leser,


 
 
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bitte haben Sie die Güte, sich den Ort der Handlung als eine Insel im Atlantik vorzustellen, abseits der Schiffahrtsrouten, größer als Irland, kleiner als England, mit einem Klima, das warm, aber nicht tropisch und im Sommer eher trocken ist. Besiedelt wurde sie im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung von Kaufleuten aus Italien, die sich mit einer vorgefundenen Urbevölkerung aufgrund militärischer Überlegenheit einigten, wie Pizarro sich tausend Jahre später mit den Indianern Südamerikas einigte. Die Sprache ist daher rein romanisch. Sie zerfällt in mehrere Dialekte, die sich in der Regel von den italienischen weniger unterscheiden als das Oberdeutsche vom Niederdeutschen. Das Interesse am Handel hat die Verbindung der Kolonie zum Mutterland niemals abreißen lassen; aber die Kaufleute dieser TAURIS genannten Insel sind von jeher im höchsten Grad auf die Wahrung ihrer splendid isolation bedacht gewesen und betreiben deshalb ihre Geschäfte auf dem Kontinent als Bürger diverser, meist italienischer Städte, ohne den diplomatischen Schutz ihres Heimatlandes, das keine Kontakte mit anderen Staaten pflegt und folglich auch nicht in Kriege verwickelt wird. Bürgerkriege hat es allerdings im Lauf der Geschichte des öfteren gegeben. Der letzte wurde im Jahr 1228 zugunsten des Ahnherrn des seither regierenden Königshauses entschieden. Von vereinzelten Aufständen abgesehen, herrschte danach Friede.
Die Religion ist arianisch-christlich, völlig unabhängig von der römischen Kirche und weniger beherrschend im politischen Leben; seit 1230, als das kirchliche System gemeinsam mit dem staatlichen reformiert wurde, ist der jeweilige König gleichzeitig oberste Autorität der Landeskirche, die zwar eine gemäßigte Heiligenverehrung kennt, ansonsten aber eher protestantische als katholische Züge aufweist; Ehescheidung und Priesterehe sind möglich bzw. die Regel. Im Jahr 1230 sind auch die Klöster aufgelöst worden; ihre kulturelle Aufgabe haben staatliche und städtische Akademien übernommen, die als eine Vorform heutiger Hochschulen zu verstehen sind. Sie bilden auch Ingenieure aus und betreiben ohne Behinderung durch kirchliche Verbote Naturwissenschaft - freilich nur in beschränktem Umfang, da die wirtschaftliche Nutzbarkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse noch kaum bekannt ist.
Lange vor der Jahrtausendwende hat die Insel sich als Königreich konstituiert. Bis zum Jahr 1228 handelte es sich dabei jedoch um ein Wahlkönigtum: starke Herzöge wählten aus ihren Reihen einen schwachen König, der nur selten in der Lage war, sie zum Gehorsam zu zwingen. Die Insel war folglich zersplittert in eine Vielzahl fast unabhängiger Stadtstaaten und Herzogtümer, die sich gegenseitig befehdeten. Nach dem Ende des Bürgerkriegs wurden die Herzöge entmachtet; der Königstitel ist seither stets bei derselben Familie verblieben, und schrittweise entstand ein Beamtenstaat, in dem allerdings immer noch der Adel alle wichtigen Posten besetzt. Ämterkauf ist möglich, aber nicht üblich. Adelserhebungen bürgerlicher Familien sind selten und finden nur statt, wenn eine Familie des alteingesessenen Adels ausstirbt. Sie sind freilich auch wenig begehrt, da die begüterten Kaufmannsfamilien sich ohnehin als zweite Adelskaste etabliert haben. Die Grenzen zwischen Adel und Bürgertum sind, wenn schon nicht nach oben, so doch nach unten fließend: jüngere Nachkommen adliger Familien müssen bei der Heirat den Familiennamen ablegen und steigen innerhalb weniger Generationen ins Bürgertum ab. Geographisch betrachtet, ist die Insel gebirgiger als England und Irland. Das teilweise recht unwegsame Gebirge umschließt die Insel auf drei Seiten und macht ihre Küsten schwer zugänglich. Es gibt nicht viele Ebenen. Das Tiefland ist meist hügelig, aber nicht unfruchtbar: Lebensmittel müssen nur in seltenen, besonders schlimmen Krisenzeiten von außen eingeführt werden. Im allgemeinen reichen die Erträge von Getreide, Fleisch und Wein aus, um die Bevölkerung reichlich zu versorgen. Der größte Fluß heißt Zaronta, ein Wort, das aus der Sprache der Ureinwohner übernommen ist wie der Name der Hauptstadt, Atthagra. Weitere große Städte, die erst im 13. Jahrhundert ihre Selbständigkeit aufgegeben bzw. verloren haben, sind Valanta - wie die Hauptstadt an der Zaronta gelegen - und Corvalla. Der größte und bis zum 16. Jahrhundert einzige Überseehafen heißt Horena. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts ist in einem bis dahin unbesiedelten Teil des Gebirges eine kleine Republik entstanden, die sich Noya Terea nennt und eine reichlich kuriose Verfassung hat. Sie ist allerdings nicht unabhängig, sondern steht unter dem Schutz des Königs, dem sie Tribut zahlt, der aber nicht berechtigt ist, sich in ihre inneren Belange einzumischen.




Eine solche Konstruktion ist nicht unwahrscheinlicher als die Unzahl ferner Planeten oder vernebelter Artusreiche, die der schriftstellerische Schöpfergeist im Lauf der Zeit hervorgebracht hat, und ebenso wie diese ein Vorwand, eine Geschichte zu erzählen, die sich in der Wirklichkeit nirgendwo zugetragen hat. Aber alle Romane - auch solche, die keine Phantasiewelten aufbauen - verabschieden sich an einem bestimmten Punkt von der Wirklichkeit, um in das Reich der Fiktion einzutreten, und Schriftsteller sein heißt immer auch, in diesem Reich den Lieben Gott spielen. Es ist das einzige Privileg des Schriftstellers. Die Welt wäre um manches unterhaltsame Buch ärmer, wenn man ihm verbieten wollte, es zu nutzen.




Die Handlung des Romans beginnt in Valanta, am Abend des 9. September 1558.


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TAURIS
Roman