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TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

19    Prozesse
                  und Urteile


 
 
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Um es kurz zu machen: als sie darauf bestand, Bianca Barri zu ihrer Hofdame zu ernennen, hatte Catterina gerade das geschaffen, was man als heikle Situation zu bezeichnen pflegt. Wie heikel, begriff sie erst am frühen Nachmittag des folgenden Tages; denn Don Raffael hatte beim Schlafengehen weder dieses noch ein anderes Thema mit ihr besprochen. Er hatte ihr höflich eine gute Nacht gewünscht, ohne ihr den üblichen Kuß auf die Wange zu gönnen, und sich anschließend so entschieden von ihr abgewandt, daß sie nicht gewagt hätte, etwas zu äußern, selbst wenn sie es vorgehabt hätte. Mit einem solchen Schweigen hatte Catterina nicht gerechnet; aber sie hatte damit gerechnet, daß er ihr grollen würde. Weder das eine noch das andere vermochte sie in dieser Nacht vom Schlafen abzuhalten: sie war immer noch erschöpft von den Anstrengungen der letzten. Sie schlief tief und fest und bemerkte nicht einmal, daß Don Raffael bald nach Mitternacht das Bett verließ, um sich bis zum Morgen im Ankleidezimmer mit Aktenstudium zu beschäftigen; auch der Lichtschein, der durch die bloß angelehnte Tür auf das Bett fiel, konnte sie nicht wecken.

Am Morgen war Don Raffael nicht gesprächiger. Er kehrte nach einem kurzen Frühstück zu seinen Akten zurück und schloß Catterina im Lauf des Vormittags zweimal mit ihren Damen und einem Lehrer ein, weil er sowohl zum Fürsten als auch zum König gerufen wurde. Hinter den dicken Mauern ihres Salons hörte Catterina nichts von dem Geraune und Gekicher, das überall dort in den Gängen und Zimmern der Königsburg vernehmbar wurde, wo auch nur zwei Höflinge oder Hofdamen sich begegneten. Ahnungslos brachte sie eine Lektion in Hofzeremoniell und eine Toskanischstunde hinter sich, wurde auch bei dem schweigsamen Mittagessen nicht klüger und erfuhr erst, als sie vom Tisch aufstand, daß Don Raffael sie jetzt gleich in die Gemächer seines Bruders begleiten werde: der Fürst wolle mit ihr sprechen.

Don Francesco also nahm es auf sich, Catterina das volle Ausmaß des Skandals zu erläutern, den sie mit ihrem Entschluß erregte. Er tat es ohne Zeugen, denn Don Raffael zog sich ins Vorzimmer zurück, sobald Catterina auf dem Armesünderstühlchen Platz genommen hatte, das ihr bei diesem Anlaß angeboten wurde. Danach hatte Don Francesco eineinhalb Stunden Zeit, die gesamte Affäre vor Catterina auszubreiten; und er nutzte die Frist gründlich. Noch am Vortag hätte er es für weit unter seiner Würde gehalten, sich offen in die Liebes- und Eheangelegenheiten seines Bruders einzumischen. Jetzt sprach er ausführlich von Dingen, von denen er nicht das mindeste verstand, schilderte das, was er Don Raffaels Besessenheit nannte, in geradezu glühenden Farben, erkannte Angelica Barri ohne Zögern als seine Nichte an und ersparte Catterina keinen Vorwurf. Sie wolle offenbar unbedingt erreichen, daß die Befürchtungen, mit denen sie in die Ehe gegangen war, sich letzten Endes doch noch bewahrheiteten! Sei sie wirklich so begierig auf eine Zukunft als mißachtete und beiseitegeschobene Ehefrau? Oder habe sie vielleicht gar die Absicht, Don Raffaels Ansehen zu ruinieren? Selbst sie mußte wissen, wie verpönt es war, daß ein Mann mit seiner Ehefrau und seiner Mätresse unter demselben Dach lebte. Auf dem Kontinent komme das dem Hörensagen nach häufig vor: aber hierzulande! Ein Mann, der seinen Haushalt solcherart in eine Lotterwirtschaft verwandle, müsse unweigerlich in Verruf geraten, ganz besonders, wenn er eine Person des öffentlichen Lebens sei.

Catterina saß stumm und geduldig da, ließ den Fürsten zuende reden und meldete sich auch während seiner zahlreichen Verschnaufpausen nicht zu Wort. Zuletzt sagte sie unerschüttert: "Hoher Herr, ich habe im Vertrauen auf Don Raffaels Behauptung gehandelt, daß diese Liebschaft schon seit längerem unwiderruflich beendet ist. Gibt es einen Grund anzunehmen, daß er dabei nicht die Wahrheit gesagt hat?"

Don Francesco mußte widerstrebend einräumen, es sei so gut wie erwiesen, daß ein solcher Grund nicht vorliege. Seit einem Dreivierteljahr sei Don Raffael nur noch in den Salons mit Bianca Barri zusammengetroffen und habe dabei kaum je ein paar belanglose Sätze mit ihr gewechselt. Aber das Wort unwiderruflich sei mit Bestimmtheit übertrieben. Kein Zeuge dieser Liebschaft könne an der Möglichkeit ihres Wiederauflebens zweifeln; schlimmer, niemand werde daran zweifeln. Beabsichtige Catterina vielleicht, Don Raffael ein verspätetes Hochzeitsgeschenk zu machen, indem sie ihm die Gelegenheit zu einem Neuanfang verschaffte?

"Hoher Herr," sagte Catterina, "Ihr habt mir noch nicht gesagt, warum diese Liebschaft überhaupt zuende ging — obwohl Don Raffaels Gefühle doch so heftig und so lebendig sind?"

Leider wußte der Fürst darüber kaum mehr als Catterina. Don Raffael verstand sich wirkungsvoll dagegen zu schützen, daß Gespräche belauscht wurden, die er in seinem Appartement führte; zahlreiche der darunter und darüber liegenden Zimmer waren vermauert, und wer an den Kaminen horchen wollte, hätte dazu schon aufs Dach klettern müssen — mit so geringer Aussicht auf Erfolg, daß das besorgte Bruderherz es nie für sinnvoll gehalten hatte, derart extreme Maßnahmen anzuordnen. Über Don Raffaels Trennung von Bianca Barri gab es folglich nichts zu berichten, als daß dabei kein Geschirr zerbrochen worden war: keine Schreie, keine Tränen, nichts, was auf ein Zerwürfnis schließen ließ.

Wäre er ehrlich gewesen, hätte der Fürst noch hinzufügen können, daß er selbst durch diese Trennung nicht annähernd so glücklich geworden war, wie er es sich erhofft hatte. Don Raffael war danach zwar wieder häufiger nach Orsino gekommen; aber er war auch spürbar unzugänglicher geworden, hatte sich weit mehr als in den eineinhalb Jahren zuvor in Horena und Corvalla herumgetrieben und all die Vorsicht aufgegeben, die er während der Zeit seines Glücks erworben hatte. Im Frühjahr, bei einer Inspektionsreise, hatte er sich gar geweigert, ein Schiff zu verlassen, das in ein Seegefecht verwickelt wurde. Und die übelste Konsequenz der Trennung war allem Anschein nach gewesen, daß sie dem König eine höhere Meinung von Don Raffaels Charakter einflößte: Don Francesco sah einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ende der Liebesaffäre und dem Entschluß des Königs, Don Raffael zum Thronfolger zu ernennen. Offenbar sollten die Schwierigkeiten immer erst dann beginnen, wenn er sich eben zu ihrem Ende gratulierte.

Jetzt stand er mehr denn je unter diesem Eindruck; denn obwohl Catterina zugab, daß sie die Sachlage bisher weit harmloser aufgefaßt habe, als sie in seiner Darstellung erschien, war sie von ihrem Wunsch nicht abzubringen. Sie verlasse sich auf die Vereinbarungen des Ehevertrags, erklärte sie kühn: Don Raffael habe zugesichert, daß er keine außerehelichen Beziehungen unter einem gemeinsamen Dach pflegen werde; müsse man ihn etwa für fähig halten, solche Abmachungen leichtfertig zu mißachten? Und wenn die Gefahr für sein Ansehen wirklich so groß sei, wie Don Francesco sie beschreibe, sei es doch verwunderlich, daß er keinen Einspruch gegen ihre neue Hofdame erhoben habe. War er nicht stets weit mehr auf die Wahrung seines Ansehens bedacht, als der Hohe Herr überhaupt für nötig hielt?


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
19. Prozesse und Urteile/A