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SCHLUSS
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

16    Mord
                 und Totschlag


 
 
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Verschiedene Äußerungen Don Raffaels fielen ihr wieder ein: daß die Person, die ihr nach dem Leben trachtete, im allgemeinen eine durchaus ehrenhafte sei, daß es nicht möglich sei, den Urheber der Anschläge zu entlarven... Es war der König. Der König, natürlich, niemand sonst, und die einzige Frage, die jetzt noch offenstand, betraf sein Motiv.

Als Don Raffael ans Ende seiner Rede gelangt war, wartete Catterina ebenso gespannt wie er auf die Antwort. Aber Clemens Felizio de Roccaferrata war nicht neunundsechzig Jahre alt geworden und in seinem Amt ergraut, um sich jetzt eine Blöße zu geben. Er blieb noch eine Weile stumm und schien die Stille zu genießen, die Don Raffaels Tiraden folgte. Endlich räusperte er sich, richtete sich ein wenig auf und sagte würdevoll: "Ich hoffe, Ihr werdet mir glauben, daß ich diesen unseligen Zwischenfall von ganzem Herzen bedauere. Ich verspreche Euch, daß gleich morgen früh Hoftrauer für die ermordete Dame angeordnet und ein Dankgottesdienst dafür abgehalten werden wird, daß Eure Frau" — wieder ruhte sein Blick prüfend auf Catterina —, "wenn ich Euch recht verstehe, nicht ernsthaft verletzt ist. Aber wie ich Euch die vollständige Genugtuung, die Ihr verlangt, noch heute nacht verschaffen soll, ist mir ein Rätsel. Es kann ja wohl nicht Euer Wunsch sein, daß ich augenblicklich den Henker rufen und diese Leute ohne Prozeß hinrichten lasse."

"Das ist umso weniger mein Wunsch, höchster Herr," versetzte Don Raffael, "als ich eine Untersuchung und einen Prozeß fordere, bei denen die Hintergründe dieser Tat restlos geklärt werden können! Aber da der Anführer des heutigen Anschlags ein Bruder des Kommandanten von Alvisia ist, besteht die Gefahr, daß sowohl das eine wie auch das andere vereitelt wird, wenn man die Gefangenen vorschriftsgemäß im Staatsgefängnis unterbringt! Mein Anliegen ist demzufolge, Euch um die Verfügungsgewalt über die Gefangenen zu bitten. Sie sollen an einem von mir gewählten Ort verwahrt und ausschließlich von meinen Soldaten bewacht werden."

Der König besann sich eine Weile und sagte dann langsam: "Also — wenn ich Euch recht verstehe, gedenkt Ihr gegen diese Leute einen Prozeß anzustrengen, in dem Ihr als Ankläger auftreten wollt?" Und nachdem Don Raffael das bejaht hatte, verkündete er mit mühsam verhohlenem Triumph: "Nun, dann verratet mir doch, wie das möglich sein sollte! Es gibt Gesetze, wißt Ihr? Und es wäre eine völlig unerhörte Neuheit, Angeklagte der Obhut des Anklägers zu überantworten! So etwas ist noch nie dagewesen, und ich werde nicht derjenige sein, der solche Monstrositäten einführt, darauf gebe ich Euch mein Wort!"

Dieses Problem hatte Don Raffael in der Tat nicht bedacht. Aber er mußte nicht lange überlegen, um herauszufinden, daß die Lösung ganz einfach war. Natürlich ging es nicht an, Don Francesco eine Rolle aufzubürden, die verlangte, daß er sich an einem feuchtkalten Nachmittag auf eine Tribüne stellte und zusah, wie drei Leute geköpft wurden; der andere Part der Aufgabe indes ließ sich ohne Anstrengung bewältigen. "Ihr habt recht, höchster Herr, das sehe ich ein," sagte er deshalb, "aber mir scheint, es verstößt keinesfalls gegen die Gesetze, wenn Ihr die Gefangenen der Obhut des Fürsten von Orsino anvertraut. Gebt mir eine Vollmacht auf Don Francescos Namen, mehr verlange ich nicht."

Und er bekam sie, diese Vollmacht, obwohl er noch eine ganze Weile darum kämpfen mußte; es gab keinen stichhaltigen Einwand gegen ein solches Arrangement, und der König sah sich nach einer längeren Debatte gezwungen, seine Unterschrift unter das eilig angefertigte Dokument zu setzen, wobei er freilich ankündigte, er werde die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme gleich am nächsten Morgen von einem Gericht überprüfen lassen. Don Raffael nahm die Drohung kommentarlos zur Kenntnis, übergab die Siegestrophäe einem seiner Offiziere zur Aufbewahrung, bedankte sich und kehrte nach einem beiderseits frostigen Gutenachtwunsch an den Schauplatz des Geschehens zurück.

Inzwischen war der Saal hell — fast hätte man sagen können, festlich — erleuchtet. Man hatte die Deckenlüster bestückt und befeuert und zahlreiche Kandelaber in den Raum getragen, die ein unbarmherziges Licht auf Tote und Lebende warfen, auf Gefangene und Bewacher, auf die Blutlachen und das Gewirr bräunlicher Fußspuren, das sich über den hellen Parkettboden zog. Don Raffael blieb eine Weile wie geblendet am Eingang stehen, betrachtete die Tragödie, die sich jetzt unverhüllt allen Blicken darbot, und sagte bitter: "Wenn man bedenkt, daß mein Vater in diesen Sälen dereinst Feste gefeiert hat!" Es kostete ihn Überwindung, den Raum überhaupt zu betreten; aber er hatte dort noch ein paar unerläßliche Anweisungen zu geben.

Als erstes schickte er einen Offizier zu Don Francesco, um ihn über die jüngste Entwicklung zu unterrichten und zwei seiner Sekretäre herbeizuzitieren; dann verfügte er, daß die Gefangenen im Gerichtsgebäude in Atthagra untergebracht werden sollten, wählte drei Offiziere und zehn Soldaten zu ihrer Bewachung aus und vereinbarte eilig eine gesonderte Parole mit den drei Offizieren; und als kurz darauf Don Francescos Sekretäre eintrafen, beauftragte er sie, für den Abtransport der Leichen zu sorgen und die nötigen Briefe an die Angehörigen zu schreiben. Emilia Sebaldi sei unverzüglich mit allen Ehren in der Totenkapelle der Hofkirche aufzubahren; die beiden toten Männer dagegen — denn auch Ettore dei Livaroni war bereits gestorben — werde man wohl vorläufig in einem Kellerraum verwahren müssen; für ihr Begräbnis sei die jeweilige Familie zuständig, der man den Leichnam auf Verlangen aushändigen solle.

Die Leiche des Anführers durfte aber natürlich nicht entfernt werden, bevor Don Raffael sich endgültige Gewißheit über dessen Person verschafft hatte; zu diesem Zweck ließ er einen Eimer Wasser holen und das Gesicht des Toten waschen. Da er nach wie vor auf ihrer Begleitung beharrte, wurde notgedrungen auch Catterina Zeugin der ekelhaften Prozedur, eine blinde Zeugin zumindest; denn sie hielt die Augen während der gesamten Dauer des Vorgangs krampfhaft geschlossen und wünschte sehr, sich auch die Ohren zuhalten zu können. Don Raffael blieb obendrein unnötig lange bei dem Toten stehen und starrte kopfschüttelnd auf die längst kenntlich gewordenen Gesichtszüge hinab; er vermochte es nicht zu fassen. Der Sekretär hatte nicht gelogen. Ettore dei Livaroni! Ein Mann, den Don Raffael stets für vertrauenswürdig und rechtschaffen gehalten hatte! Er war übrigens tatsächlich Oberst gewesen, allerdings in der königlichen Armee — einer der wenigen fähigen Offiziere, welche diese Armee aufwies! —, und hatte seit sechs Jahren in beinahe vorbildlich zu nennender Weise das Amt des Stadthauptmanns von Castelmaretta ausgeübt.

Es gab freilich etwas, das Don Raffael nicht wissen konnte und auch im nachhinein nur teilweise erfuhr: dem strebsamen Neffen des Herzogs von Livarone war die militärische Verwaltung eines Bergstädtchens im Hinterland von Atthagra nicht ehrenvoll und nicht lukrativ genug erschienen. Er hatte sich deshalb sehr energisch um ein besseres Amt bemüht und wenige Wochen vor dem Anschlag die mündliche Zusicherung des Königs erhalten, binnen kurzem auf den Posten des Stadthauptmanns von Valanta berufen zu werden — unter einer gewissen Bedingung... Diese Bedingung hatte er nun leider nicht erfüllt.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
16. Mord und Totschlag/S