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SCHLUSS
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

8    Rocca
            dei Marulani


 
 
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Catterinas erschreckter Gesichtsausdruck brachte seine gute Laune zurück. "Seid unbesorgt," sagte er beschwichtigend, "da es eine überraschende Maßnahme ist, kann es keine große Gefahr für Euch bedeuten; und was mich betrifft — nun, Ihr werdet sehen, es ist nichts weiter, als daß Don Francesco nach einer schlaflosen Nacht von der Lust angewandelt worden ist, mir schon vor dem Frühstück die Laune zu verderben! Und selbst wenn er mich enterben sollte, habe ich vorerst doch noch genug eigenes Vermögen. Es wird nicht so schnell dahin kommen, daß ich Euch auf der Tasche liege!" Er schenkte Catterina sein strahlendstes Siegerlächeln und setzte hinzu: "Dabei muß ich leider zugeben, daß Ihr meine Schneiderrechnungen auf die Dauer bestimmt arg kostspielig finden würdet!"

Und wirklich gelang es ihm, Catterina ein Lächeln zu entlocken. "So kleinlich sind meine Ängste nun auch wieder nicht," protestierte sie. "Wie sollten sie auch? Ich habe Euch doch gestern abend erst behaupten hören, Ihr wärt durchaus imstande und willens, Euch Euren Lebensunterhalt als Fechtlehrer zu verdienen!"

Don Raffael war von dieser Antwort aufrichtig entzückt. Ehe Catterina richtig begriff, was geschah, legte er den Arm um ihre Schulter und küßte sie leicht auf den Mund. Catterina wehrte sich nicht, und als er sie losließ, lächelte sie immer noch, wenngleich ein bißchen unsicherer als zuvor. "Falls Ihr der Herzogin heute morgen ein paar Antworten von dieser Sorte gebt, ist sie mit Sicherheit genug bestraft," empfahl Don Raffael, schon halb im Hinausgehen, "und nach allem, was gestern abend geschehen ist, verlange ich gewiß nicht mehr, daß Ihr sie freundlicher behandelt als sie Euch."

Bei dem Frühstück, das sie eine gute Stunde später gemeinsam mit dem Herzogspaar einnahm, geriet Catterina freilich nicht in die Verlegenheit, von dieser Erlaubnis Gebrauch zu machen. Der abendliche Skandal hatte Laura Asturini endgültig davon überzeugt, daß es nicht ratsam war, Catterina unhöflich zu behandeln. Ihre heitere Selbstzufriedenheit war nachhaltig erschüttert worden, und so saß sie Catterina bekümmert und einsilbig gegenüber und enthielt sich nicht nur der gemäßigten Anzüglichkeiten, die sie während der vergangenen Tage noch manchmal gewagt hatte, sondern überhaupt fast jeglicher Äußerung, die über die Frage nach Catterinas Befinden hinausging. Catterina dagegen wußte sich natürlich noch weniger zu helfen als die Herzogin, wenn die Umstände ein neutrales Gesprächsthema erforderten; und die einzige Frage, die ihr einfiel: was sich nach ihrem und Don Raffaels Weggang im Speisesaal ereignet habe? wagte sie nicht zu stellen. So wurde dieses Frühstück eine schweigsame und trübselige Angelegenheit; Catterina aß wenig, die Herzogin viel — das heißt, noch mehr als gewöhnlich —, und der Herzog trug außer Essensgeräuschen und mißmutigen Blicken gar nichts zur Unterhaltung bei. Auch er schien keinen übermäßigen Appetit zu verspüren. Das hatte freilich andere Gründe, als Catterina glaubte. Auf die Dinge, welche die beiden Frauen bedrückten, verschwendete er keinen Gedanken; aber der Anblick des morgendlichen Heißhungers seiner Frau schlug ihm selbst dann auf den Magen, wenn er für die Unmengen von saurem Fleisch und süßen Eierkuchen, die sie vertilgte, nicht selbst zu bezahlen brauchte.

Als schließlich die Nachricht eintraf, daß der Fürst im Begriff sei, die Reise fortzusetzen, und man sich zum Aufbruch bereitmachen solle, teilten Catterina und die Herzogin zum ersten Mal eine Gefühlsregung miteinander: grenzenlose Erleichterung. Die Herzogin atmete zwar etwas zurückhaltender auf als Catterina; ihr ungewöhnlich gnädiger Abschied von der Gastgeberin zeigte jedoch deutlich, daß auch ihr ein Stein vom Herzen gefallen war.

Obwohl der Fürst außer seinen Verwandten kaum adliges Gefolge mit sich führte, war der Zug, der sich zum Zarontaufer hinunterbewegte, eindrucksvoll und prächtig. Der Burgherr und seine beiden Söhne gaben den Gästen das Geleit; die Damen und der Fürst saßen in Sänften, die Herren zu Pferd, die niedere Dienerschaft folgte zu Fuß. Eskortiert wurde die Reisegesellschaft von sechzig fürstlichen Soldaten, und die Einwohner des Städtchens standen — wie schon am Vorabend — gaffend zu beiden Seiten des Wegs. Auch hier wurde kein Jubel hörbar, ebensowenig wie bei allen anderen Stationen der Reise; aber das Schweigen wirkte doch eher gleichgültig als feindselig. Im übrigen nahm auch keiner der Vorüberziehenden erkennbar Notiz von der schaulustigen Volksmenge.

Catterina konnte nicht umhin, über den Verlauf des Gesprächs zwischen den Brüdern nachzugrübeln. Offensichtlich war dabei die Eintracht zumindest nach außenhin wieder hergestellt worden. Don Raffael, den der dringliche Befehl seines Bruders nicht davon abgehalten hatte, so sorgfältig wie stets Toilette zu machen, saß zu Pferd wie ein junger Gott und wirkte so strahlend unbekümmert, daß Catterina zum ersten Mal geneigt war, ihm das Epitheton ornans "schön" ohne Einschränkung zuzugestehen. Von der Verzweiflung der vergangenen Nacht war nicht einmal ein Schatten zurückgeblieben, und Catterina kam fast in Versuchung, sich zu fragen, ob sie all diese bestürzenden Bekenntnisse nur geträumt habe.

Es wurde allerdings rasch deutlich, daß die Laune des Fürsten sich nicht wesentlich gebessert hatte. Er machte seine erste bissige Bemerkung schon bevor er das Schiff betrat. Sobald der Burgherr sich — mit allen Zeichen der Ergebenheit — von ihm verabschiedet hatte, und während dieser Bedauernswerte noch in Hörweite war, hob der Fürst den Blick, betrachtete angewidert die Festung, die eben zwischen den abziehenden Schwaden des Morgennebels sichtbar wurde, und äußerte mißvergnügt, er könne wahrhaftig nicht begreifen, weshalb die Leute für die Erhaltung solcher Rattenlöcher auch noch Geld ausgäben, statt sie ihrer einzig sinnvollen Verwendung als Steinbruch zuzuführen.

Wenn er damit zum Ausdruck bringen wollte, daß die Rocca dei Marulani ein ungemütlicher Aufenthaltsort sei, dann konnte Catterina ihm nur beipflichten. Sie hatte während der kurzen Zeit ihres Besuchs zwar keine Ratten gesehen, aber schwitzende Mauern, fleckige Fresken, winzige, blinde Fenster, die das Tageslicht mehr abhielten als einließen, rußgeschwärzte Deckenbalken, unregelmäßig abgetretene Steinfliesen und halsbrecherische Treppen. Selbst jetzt, in der strahlenden Morgensonne, zitterte sie noch bei der Erinnerung an die durchdringende Kälte, die sich unter dem lichtschluckenden Gewölbe des Speisesaals breitgemacht hatte, und gegen die das Kaminfeuer machtlos blieb; ganz zu schweigen von dem Geruch nach Staub, feuchtem Kalk und den Gräbern vermodernder Vorfahren, der die ganze Rocca durchzog!

Dennoch war Catterina weit entfernt davon, sich von diesem Ort des Ungemachs mit angewiderten Blicken zu verabschieden. Als das Schiff vom Ufer ablegte und auf den Fluß hinaussteuerte, erhob sie sich von ihrem Sessel, wo der Baldachin die Sicht behinderte, trat an das Geländer, welches das Passagierdeck vom Heck des Schiffes trennte, und hielt die Burg mit den Augen fest, solange sie sichtbar war. Sie wußte, daß diese unförmige Masse aus geschwärztem Backstein ihr allezeit im Gedächtnis bleiben würde als der Schauplatz eines unbegreiflichen und weltverändernden Wunders.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
8. Rocca dei Marulani/S