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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Ein
  Schlafzimmerdrama


(Auszug aus Kap. 17)


 
 
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Schließlich erhob Catterina sich zögernd auf den Ellbogen. Diese Ungewißheit mußte, so oder so, ein Ende nehmen. Eigentlich hatte es ja gar keinen Zweck, sich aufzuregen, solange nicht feststand, daß Don Raffael gestorben war; und wenn er — vielleicht, vielleicht! — noch lebte und Hilfe brauchte: nun, dann war es doppelt unverzeihlich, daß sie hier herumlag und sich wie eine dumme Gans benahm. Wie fand man aber heraus, ob ein Mensch noch lebte? Von sich krümmenden Flaumfedern und sich trübenden Spiegeln konnte in dieser Dunkelheit natürlich nicht die Rede sein; da blieb nur die primitivste Methode: man stellte fest, ob sein Herz noch schlug. Furchtsam tastete Catterina nach Don Raffaels Brust; aber auch nachdem sie die richtige Stelle gefunden zu haben glaubte, spürte sie nur das Zittern ihrer Hand. Und so entschloß sie sich endlich zum Äußersten. Sie beugte sich über Don Raffael und legte das Ohr auf seine Brust.

Fast in demselben Augenblick, in dem sie seinen Herzschlag vernahm, bemerkte sie auch, daß Don Raffael die Hand bewegte, die unter ihrem Körper lag. Beides kam Catterina so gespenstisch vor, daß sie nach Luft schnappend hochfuhr; und auf den Schrecken folgte das Befremden. "Sprecht doch! Warum sagt Ihr nichts? Wie kann ich Euch helfen?" schrie sie; und weil sie keine Antwort erhielt, packte sie Don Raffael bei den Schultern und begann ihn zu schütteln, bevor sie noch recht wußte, was sie tat. Aber auch diese Handgreiflichkeit rief keine Reaktion hervor.

Nur ganz allmählich erfaßte Catterina, warum ihre Aufforderungen und Hilfsangebote ohne Echo blieben. Don Raffael konnte nicht sprechen. Als sie endlich darauf verfiel, mit zwei Fingern vorsichtig über sein Gesicht zu tasten, bemerkte sie, daß er unablässig bemüht war, etwas zu sagen. Er hatte den Mund geöffnet und versuchte die Lippen zu bewegen; aber außer einem ton- und formlosen Hauch brachte er nichts zustande. Und als Catterina ihre Finger an seinem Hals entlanggleiten ließ, stellte sie fest, daß die Sehnen sich dort immer noch so starr anfühlten wie Seile, an denen eine schwere Last hängt. Instinktiv — aber was konnte sie sonst schon tun? — begann sie diese harten Stellen zu massieren, von Brust und Schulter bis zum Kinn, erst behutsam und dann, da sich kein rascher Erfolg einstellte, immer heftiger. Endlich glaubte sie zu spüren, wie die verkrampften Muskeln unter ihren Fingern nachgaben; aber noch immer sprach Don Raffael nicht.

Da hatte sie zu guter Letzt den erlösenden Einfall. Sie beugte sich über Don Raffael, legte die Hand auf seine Wange und fragte leise: "Soll ich Hilfe holen?" Auch jetzt erhielt sie keine Antwort; aber sie konnte feststellen, daß seine Anstrengungen, etwas zu sagen, beträchtlich zunahmen. Und weil sie diese verdoppelten Bemühungen als Zustimmung auffaßte, versprach sie eilig: "Ich gehe sofort!", stieg aus dem Bett und griff nach ihrem Umhang.

Da, endlich, fand Don Raffael seine Stimme wieder. Sie kehrte mit derselben Gewalt zurück, mit der eine Fontäne emporschnellt, der man lange den Weg ins Freie versperrt hat, und wenn es vorerst auch nur ein einziges Wort war, das er zu äußern vermochte, so war es doch unmißverständlich. "Nein —!!!" brüllte er ganz plötzlich und so verzweifelt, daß Catterina vor Schreck ihren Umhang fallen ließ. Und da sie zu verstört war, um sogleich ins Bett zurückzukehren, geriet Don Raffael vor Angst und Zorn über seine Hilflosigkeit völlig außer sich. Er unternahm einen vergeblichen Versuch aufzustehen, fiel unverzüglich auf das Bett zurück und schaffte es schließlich wenigstens, sich ein zweites Mal zu äußern. Seine Zunge gehorchte ihm allerdings noch immer nicht völlig; aber wenn es auch einigen guten Willens bedurfte, seine Worte als das "Bleibt hier!" zu verstehen, das er hatte sagen wollen: der Befehlston in seiner Stimme war unverkennbar.

Inzwischen hatte Catterina sich wieder halbwegs gefaßt. Obwohl sie auch weiterhin unschlüssig vor dem Bett stand, zeigte sie doch Verhandlungsbereitschaft. "Wenn Ihr wollt, daß ich hierbleibe," sagte sie schroff, "dann solltet Ihr mir keine Angst einjagen."

Sie erhielt ein ärgerliches Schnauben als Antwort, das sie nicht ermutigend fand, und wartete deshalb beharrlich, bis Don Raffael sich klarer ausdrücken würde. Das dauerte einige Zeit. Etwas beruhigt durch die Entdeckung, daß Catterina sich nicht vom Bett entfernt hatte, wendete Don Raffael ein paarmal den Kopf hin und her, um die Steifheit in seinen Halsmuskeln gänzlich abzuschütteln, bevor er einen neuen Anlauf nahm. Und diesmal glückte es ihm wirklich, fast fehlerfrei zu artikulieren. "Seid nicht albern!" stieß er heftig erbittert hervor, "glaubt Ihr vielleicht, daß ich Euch etwas antun werde? Ich kann doch kaum einen Finger rühren!"

"Verzeiht mir," sagte Catterina und stieg nun endlich wieder ins Bett, "ich wußte wirklich nicht, was ich von der Sache halten sollte. Es wäre gewiß besser gewesen, wenn ich gleich zu Beginn Hilfe geholt hätte."

"Unsinn!" Don Raffael schnaubte abermals. "Ihr habt nichts falsch gemacht! Wenn Ihr jetzt noch so freundlich sein wolltet, mir die Arme ein wenig zu reiben, bis ich sie wieder wie ein vernünftiger Mensch gebrauchen kann, habt Ihr alles erreicht, was ein Arzt für mich tun könnte. Den Rest besorge ich selbst."

Catterina fand sich damit ab, daß auch ihre jüngste Heldentat ohne Dank und Anerkennung bleiben würde, und ging wortlos daran, den erbetenen Liebesdienst zu leisten. Mit ein bißchen Reiben war da freilich nicht viel auszurichten. Sie walkte und knetete und klopfte, so gut sie es verstand, und begann vor Anstrengung zu schwitzen, lange bevor das gewünschte Resultat sich zeigte.

"Madonna," sagte Don Raffael plötzlich. Seine Stimme klang nicht mehr so verschwommen wie zuvor, und was sie jetzt noch zum Zittern brachte, war lediglich Zorn über seine erbärmliche Lage und die Ungeduld, dieser Gefangenschaft zu entrinnen. "Madonna — wollt Ihr mir etwas versprechen? Wenn der Anfall sich in einer der kommenden Nächte wiederholen sollte — versprecht mir, daß Ihr dann keinesfalls und unter keinen Umständen Hilfe holen werdet! Versprecht es!"

Catterina war so erstaunt, daß sie ihre Bemühungen jäh aufgab. "Ja, aber..." sagte sie ratlos, "das kann ich Euch doch gar nicht versprechen. Wenn es nun noch schlimmer kommt als heute nacht? Ich kann doch nicht einfach zusehen, wie Ihr —"

Dies war jedoch kein geeigneter Zeitpunkt, um mit Don Raffael zu diskutieren. "Verflucht, Madonna," zischte er, "wenn es mich nicht kümmert, ob ich zur Hölle gehe, dann kann es Euch doch erst recht gleichgültig sein!"

Darauf hätte Catterina manches zu erwidern gewußt. Sie war jedoch gekränkt und begnügte sich deshalb mit dem einen Einwand, den Don Raffael gelten lassen mußte. "Ich glaube kaum, daß Don Francesco ebenso denkt wie Ihr," sagte sie streng, "im Gegenteil, ich bin sicher, daß er mir eine solche Handlungsweise selbst dann nicht verzeihen würde, wenn er wüßte, daß ich einen ausdrücklichen Befehl von Euch befolgt habe."

Sie hatte das Richtige getroffen. Don Raffael stöhnte leise, sagte aber eine lange Weile nichts mehr. Da Catterina keine Anstalten machte, ihm weiter behilflich zu sein, sondern sich fröstelnd zurücklegte und die Decke über sich zog, versuchte er sich selbst zu helfen; und nach mehreren vergeblichen Anstrengungen glückte es ihm tatsächlich, mit den Fingern seiner rechten Hand seinen linken Oberarm zu ergreifen. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und verschwendete vorläufig keinen weiteren Gedanken auf Dinge, die nicht unmittelbar mit der Wiederherstellung seiner Freiheit zu tun hatten. Erst nachdem es ihm gelungen war, sich aufzusetzen und die Beine anzuziehen, sprach er wieder. "Warum habt Ihr denn heute nacht keine Hilfe geholt?" erkundigte er sich, während er begann, seine Wadenmuskeln zu massieren.

Das war eine heikle Frage, und Catterina konnte sich nur widerstrebend dazu durchringen, sie wahrheitsgemäß zu beantworten. Don Raffael hörte sich die trotzige Schilderung ihrer Ängste kommentarlos an, stieg schließlich aus dem Bett und unternahm vorsichtig tastend Gehversuche. Sie waren zittrig, mäßig erfolgreich und sehr schmerzhaft, und als die völlige Erschöpfung ihn aufs Bett zurückzwang, war er noch immer nicht von der Angst kuriert, daß dieser Anfall dauerhafte Schäden verursacht haben könne. Denn es war, wie er Catterina nach einer Verschnaufpause mitteilte, ein außerordentlich schwerer Anfall gewesen — der schwerste seit Jahren; und natürlich habe er sich das selbst zuzuschreiben.

"Ich hätte es wissen müssen," sagte er übellaunig. "Der Anblick von größeren Mengen Blut ist mir noch nie bekommen. Es war so gut wie sicher, daß heute nacht ein Anfall stattfinden würde, und ich war dumm genug, nicht daran zu denken! Statt über eine Menge nutzloses Zeug zu streiten, hätten wir besprechen sollen, was Ihr in einer solchen Lage tun und — vor allem, vor allem! — was Ihr unbedingt lassen solltet. Wäre ich von Anfang an sicher gewesen, daß Ihr keine Hilfe holen würdet, dann wäre die ganze Sache weit weniger übel verlaufen. Aber nach all dem Unsinn, den Ihr heute abend geredet habt — wie konnte ich da noch hoffen, daß Ihr in einem solchen Notfall imstande sein würdet, vernünftig zu handeln!"


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
17. Kleinere Katastrophen M