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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Hochzeitsnachts-
  Vorspiele


(Auszug aus Kap. 5)


 
 
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Als letzte Zeremonie dieses Hochzeitstages fand die Segnung des Brautbetts statt, die der Bischof von Valanta in Gegenwart der dreißig ranghöchsten Hochzeitsgäste in der Casa Reale vornahm. Lediglich der Fürst von Orsino ersparte sich diese Prozedur; er verabschiedete sich bereits auf dem Treppenabsatz vor dem Schlafzimmer vom Brautpaar und ließ sich gleich darauf in seine eigenen Räume führen.

Catterina war beileibe nicht der einzige Mensch, der die Segnung des Brautbetts für überflüssiges Brimborium hielt; aber es handelte sich eben um einen seit Jahrhunderten geübten Brauch, welcher der Tradition zuliebe in vielen Familien ehrfürchtig gepflegt wurde. Besonders das Königshaus, das in mehr als einer Generation vom Aussterben bedroht gewesen war, hatte die damit verbundenen Gebete um Fruchtbarkeit der jeweiligen Ehe stets als sinnvoll betrachtet. Im vorliegenden Fall war ein Verzicht auf die Zeremonie schon deshalb nicht in Frage gekommen, weil er als öffentliches Eingeständnis einer nicht standesgemäßen Heirat gegolten hätte: er wäre unweigerlich in dem Sinn gedeutet worden, daß die königliche Familie auf Nachkommen aus dieser Ehe keinen Wert legte.

Catterina war folglich gezwungen, eine Reihe von Gebeten um reichen Kindersegen nicht nur anzuhören, sondern sogar teilweise mitzusprechen, wobei sie ebenso wie die Hochzeitsgäste auf dem Boden kniete. Da sie inzwischen reichlich erschöpft war, tat sie es ohne großes Widerstreben und hätte gern noch mehr getan, wenn sie damit den Vorgang hätte beschleunigen können. Die Worte und Gesten des Bischofs, der, assistiert von vier Domkapitularen, um das Bett schritt und es von drei Seiten segnete, erschienen ihr unerträglich langsam. Sie beobachtete ihn aufmerksam und empfand Erleichterung bei jedem neuen Schritt, den er tat, und jedem Satz, den er begann — es brachte sie gemächlich, aber stetig dem Ende der Zeremonie näher! Selbst der Schrecken über die finstere Stunde der Wahrheit, die danach anbrechen würde, hinderte Catterina nicht daran, ungeduldig zu sein. Das mußte nun einmal durchgestanden werden, nichts konnte sie mehr retten, und jetzt wünschte sie vor allem, es möglichst schnell hinter sich zu bringen.

Ihre Angst war bereits so sehr von Müdigkeit betäubt, daß sie sogar mehrfach sehnsüchtige Blicke auf das Ehebett warf, welches hier Gegenstand der Andacht war. Ein solches Bett hatte Catterina noch nie gesehen. Was sie bisher unter diesem Namen gekannt hatte, waren stickige Holzkästen mit Vorhängen oder Schiebetüren: Möbel, die, besonders im Sommer, eher Folterkammern als Schlafgelegenheiten glichen. Hier jedoch schien es ein sanft gewölbter Hügel aus elastischen Polstern, mit strahlendweißem Damast bezogen, nur teilweise bedeckt von einer dünnen, gesteppten Seidendecke — purpurrote Seide, mit silbernen Rosen und Hermelinkreuzen bestickt, was sonst? —, die man einladend aufgeschlagen hatte. Es stand zwar mit dem Kopfende an der Wand, war aber sonst von allen Seiten frei zugänglich, und nirgends ließ sich ein Eckchen Holz daran erspähen: kein Bettpfosten, kein geschnitztes Kopfteil, keine gedrechselten Pfosten, die einen Betthimmel trugen, kein Betthimmel. Kurz, auch dies war eigentlich keine Schlafgelegenheit, sondern vielmehr ein paradiesisches Lustlager; aber es sah zumindest so aus, als könne man darin auch herrlich bequem schlafen...

Zu guter Letzt segnete der Bischof das Brautpaar noch einmal, ließ sich von beiden den Ring küssen und verabschiedete sich mit einigen persönlich formulierten Wünschen für das Gelingen der Ehe. Aber sein Abgang bedeutete noch keineswegs das Ende der Prüfung, die Catterina auferlegt war. Als nächstes wurden die Flügeltüren des Brautgemachs weit geöffnet, und die hundertachtzig Hochzeitsgäste, die während des Segens auf der Treppe gewartet hatten, betraten der Rangfolge nach den Raum, um sich zu verabschieden. Die Damen knicksten, die Herren verbeugten sich; alle wiederholten anschließend die Glückwünsche, die der Bischof geäußert hatte, und kleideten sie ungefähr in dieselben Worte wie dieser. Catterina, die sich während des ganzen Vorgangs schwer auf Don Raffaels Arm stützte, und der es bereits gleichgültig war, an wem sie sich festhielt, solange es überhaupt eine Möglichkeit für sie gab, sich festzuhalten, brauchte dazu lediglich den Kopf zu neigen. Es blieb Don Raffael überlassen, sich für die Glückwünsche zu bedanken. Seine Ausdrucksweise war dabei kaum abwechslungsreicher als die Floskeln, derer sich die Gäste bedienten.

Catterina hatte bereits am Nachmittag zweihundert Verbeugungen absolviert. Jetzt, bei der Wiederholung, empfand sie diese Übung als wirkliche Tortur. Da sie schon seit Stunden ein schweres Diadem auf dem Kopf trug, verursachte ihr das ständige Neigen und Wiederaufrichten des Kopfes zunehmend beträchtliche Schmerzen. Die Anstrengung wuchs von Mal zu Mal, und als sich endlich auch die dreißig Zeugen der Zeremonie verabschiedeten, war Catterina vor Erschöpfung den Tränen nahe. Die letzten Gäste, die hinausgingen, nahm sie nur noch verschwommen wahr.

Übrig blieben schließlich nur Laura Asturini und Catterinas Hofdamen. Die Herzogin nahm Catterina Schleppe und Diadem ab und übergab beides den Damen. Sobald auch diese das Schlafzimmer verlassen hatten, wünschte die Herzogin Catterina eine gute Nacht und verabschiedete sich von ihr, indem sie sie auf beide Wangen küßte — eine Demonstration verwandtschaftlicher Zuneigung, welche die Spenderin große Überwindung kostete, und die von der Empfängerin mit nicht geringem Widerstreben geduldet wurde. Dann wandte Laura Asturini sich ihrem Bruder zu, um ihre Abschiedsküsse mit bedeutend mehr Aufrichtgkeit zu wiederholen. Die bekümmerte Miene, die sie sich dabei gestattete, belustigte Don Raffael ungemein. Es fiel ihm nicht schwer zu erraten, was seine Schwester so betrübte; und da er über ihre Anteilnahme auch ein wenig gerührt war, hielt er sie an den Schultern fest, zog sie an sich, küßte sie ebenfalls und sagte in scherzhaftem Ton: "Seid nicht traurig! Ich versichere Euch, es ist kein Unglück geschehen!"

"Ich wollte, ich könnte das glauben!" Laura Asturini seufzte und fand sich zu einer Gefühlsäußerung genötigt. "Jedenfalls wünsche ich Euch, daß diese Sache besser endet, als sie begonnen hat; ich wünsche es von ganzem Herzen." Sie umarmte ihn, wobei sie ihrerseits beträchtlich gerührt war, und zog sich dann zurück, nicht ohne beim Hinausgehen einen weiteren bekümmerten Blick auf Catterina zu werfen.

Catterina schenkte dieser Abschiedsszene zwischen Bruder und Schwester wenig Beachtung. Sie hatte inzwischen unwillkürlich die Hand unter ihren Kragen geschoben und massierte ihren schmerzenden Nacken. Dabei dachte sie darüber nach, daß all diese Zeremonien zweifellos einen tieferen Sinn hatten, und sei es nur der, widerspenstige Bräute so zu ermüden, daß sie während der Hochzeitsnacht unfähig waren, sich zur Wehr zu setzen. Sie überlegte auch, zum letzten Mal, ob es in ihrer Lage zweckmäßig sein konnte, Widerstand zu leisten, und blieb sich die Antwort auf diese Frage ein letztes Mal schuldig. Ihre Vernunft sagte ihr, daß sie am besten daran tun werde, das Ereignis wie eine Zahnoperation hinzunehmen, bei der es ja auch nicht sinnvoll war, sich zu wehren. Aber Catterina setzte im Augenblick nicht allzuviel Vertrauen in ihre Fähigkeit, vernünftig zu handeln. Sie war nach wie vor zornig und vermochte schon deshalb nicht abzuschätzen, wie die Dinge sich entwickeln würden; im Grunde hing das ja wohl auch vor allem von Don Raffael ab.

Als Don Raffael sich, immer noch amüsiert lächelnd, zu ihr umwandte, zog Catterina die Hand unter ihrem Kleid hervor, hob den Kopf und blickte ihn mit Augen an, die vor Abwehr und Argwohn noch dunkler wirkten als gewöhnlich. Einige Sekunden standen sie so da, stumm, sie finsterblickend, er unbeirrt lächelnd, und maßen einander mit den Augen. Schließlich trat er einen Schritt auf Catterina zu und ergriff ihre Hände, die sie fast unbewußt ausstreckte, wie um ihn abzuwehren. "Liebste," sagte er — das war die gebräuchliche Anrede unter Eheleuten — "als wir uns das letzte Mal gegenüberstanden, wart Ihr bedeutend weniger furchtsam." Und Catterina antwortete erzürnt: "Ich hoffe, Ihr werdet mir glauben, wenn ich Euch sage, daß ich das bereue, und daß ich ganz sicher nicht so mutig gewesen wäre, wenn ich auch nur im geringsten geahnt hätte, welche Weiterungen sich aus diesem Zusammentreffen ergeben würden."


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
5. Die Hochzeitsnacht M