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TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

10    Gift und Galle


 
 
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Hatte der König sich im Lauf der vergangenen neun Jahre verändert? Catterina Athenaïs schien es nicht so. Vermutlich waren seine Haare dünner geworden, seine Haltung ein wenig gebeugter, die Falten in seinem Gesicht tiefer und zahlreicher, und die Anzahl seiner falschen Zähne größer: aber Catterina hatte ihn nie nahe genug gesehen, um Einzelheiten wahrzunehmen, und der Gesamteindruck glich erstaunlich genau jenem Bild, das sie in ihrer Erinnerung aufbewahrt hatte. Als Elf- und Zwölfjährige hatte sie ihn mehrfach an Festtagen zu Gesicht bekommen, wenn er im Ornat, umgeben von seinem Gefolge, zur Messe ging. Neben Isabella Sebaldi in einer der hintersten Kirchenbänke stehend, wo die Angehörigen zweitrangiger Hofbeamter Platz nehmen mußten, hatte sie den Gegenstand der väterlichen Ehrfurcht mit schaudernder Neugier betrachtet, wenn er vorüberzog: ein sehr hochgewachsener, sehr breitschultriger Mann, der aber schon damals an der Last seiner pelzgefütterten Mäntel schwer zu tragen schien. Das Bemerkenswerteste an ihm war von jeher eine vorspringende spitze Nase gewesen, von der zwei tiefe Furchen zu den Mundwinkeln verliefen. Dieser Mund war sehr breit, aber dünn wie ein Strich und verkniffen; gemeinsam mit den buschigen Augenbrauen, die über der Nase fast zusammenwuchsen, verlieh er dem Gesicht einen mißvergnügten, meist sogar recht grimmigen Ausdruck.

Nun saß Catterina also neben dem König und genoß die Gunst einer belanglosen Unterhaltung, die gleichwohl für ihr weiteres Ansehen bei Hofe ausschlaggebend sein sollte. Der Höchste Herr geruhte sie sehr gnädig nach dem Leben in Valanta zu fragen; ob es ihr dort gefallen habe? ob sie Valanta schöner finde als Atthagra? ob die Hochzeitsfeierlichkeiten ihr beschwerlich erschienen seien? ob sie eine angenehme Reise gehabt habe? und was dergleichen unverfängliche Fragen mehr waren.

Nichts an dieser Unterhaltung, die so zwanglos klang, war dem Zufall überlassen worden. Am frühen Abend des Vortages, kurz nach der Ankunft, hatte ein königlicher Kammersekretär bei Catterina vorgesprochen, hatte ihr den gesamten Katalog der königlichen Fragen vorgelegt und die erforderlichen Antworten mit ihr einstudiert. Jeden Schritt, jede Geste hatte er ihr ausführlich beschrieben und sie alle Anweisungen Satz für Satz wiederholen lassen, um sich zu vergewissern, daß sie verstand und behielt, was von ihr erwartet wurde. Sein schulmeisterlicher Ton war nur andeutungsweise durch Respekt gemildert worden; und wenn es in diesem Fall nicht zu einem ähnlichen Auftritt kam, wie ihn der Sekretär des Fürsten in Valanta hatte erleben müssen, so zeigte das besser als alles andere, wie müde Catterina an diesem Tag war, und welches Ausmaß ihre Einschüchterung inzwischen erreicht hatte.

Dennoch hatte die ganze Angelegenheit am Vortag, in der Darstellung des königlichen Kammersekretärs, weit einfacher ausgesehen, als sie sich nun in der Realität präsentierte. Zwei Stunden lang war Catterina vor dem Auftritt im großen Audienzsaal zurechtgemacht worden. Wieder einmal hatte man sie in eine Staatsrobe eingenäht, die sogar noch prächtiger, steifer und schwerer war als die Kleider, die sie anläßlich der Hochzeit getragen hatte; man hatte die abscheuliche Haube aus dunkelblauem Samt, weißer Seide und Goldbrokat auf ihren Haaren festgesteckt, man hatte sie mit Schmuck behangen. Zu guter Letzt hatte die Herzogin, weil Catterina so auffällig blaß war, auch noch darauf bestanden, sie schminken zu lassen, und Catterina hatte nicht einmal den Mut aufgebracht, sich wenigstens dagegen zu wehren.

Während dieser zwei Stunden lief die Herzogin rastlos im Ankleidezimmer auf und ab und schärfte Catterina wieder und wieder ein, daß sie, wenn sie bei der Unterredung mit dem König aus dem Text kommen sollte, keinesfalls — keinesfalls! — irgendetwas sagen dürfe, das auf ihre nicht hoffähige Herkunft Bezug nehme! Von der Ruhe, die sie zumindest noch anfangs in Valanta gezeigt hatte, als man Catterina für die Hochzeitsmesse bereitmachte, war nichts mehr spürbar. Catterinas Entgleisung beim Ehegelöbnis hatte die Herzogin nachhaltig erschüttert, und sie fürchtete jetzt, wo eine solche Furcht kaum noch zu rechtfertigen war, daß Catterina bei der Begegnung mit dem König auf ähnliche Weise aus der Rolle fallen könne.

Waren die Gefühle, von denen Catterina und Laura Asturini bewegt wurden, schon im Verlauf der Ankleideprozedur recht gleichartig gewesen, so stimmten sie an deren Ende völlig überein: beide Damen waren mit dem Ergebnis der zweistündigen Bemühungen höchst unzufrieden. Als man Catterina vor den Spiegel führte, starrte sie angewidert auf die herausgeputzte Hofdame, die ihr darin entgegentrat, und wandte sich rasch ab; und der Blick, mit dem sie Don Raffael empfing, als er kam, um sie abzuholen, besagte denn auch unmißverständlich: das habt Ihr aus mir gemacht!

Aber Don Raffael hatte seinerseits Mühe, sein Befremden über Catterinas Anblick nicht allzu deutlich zu zeigen. Sein Unbehagen war das gleiche und ebenso groß wie das der Herzogin; es veranlaßte ihn sogar, sich ernsthaft zu fragen, ob er mit dieser Heirat nicht doch einen Fehler begangen hatte. Catterina selbst mochte finden, daß sie wie eine Hofdame aussah; aber Don Raffael und seine Schwester, die es besser wußten, erkannten beide mühelos, daß ihre Aufmachung lediglich all das hervorhob, was sie unwiderruflich von dieser Menschengattung unterschied.

Don Raffael sah Catterina zum ersten Mal mit der Haube und mußte sich eingestehen, daß ihr Widerwille gegen das unselige Kleidungsstück völlig berechtigt gewesen war. Der kunstvolle, aber allzu strenge Aufbau betonte jeden ihrer Schönheitsfehler und ließ sogar ihre Reize als solche erscheinen: die Augen wirkten plötzlich zu groß, die Nase im Ansatz zu schmal und in den Flügeln zu breit, der Mund zu sinnlich und das Kinn — diesen Mangel teilte Catterina mit Don Raffael — zu spitz. Das allein wäre natürlich kein Unglück gewesen; es gab ohnedies nur wenige Hofdamen, die durch Schönheit glänzten. Weit schlimmer war jedoch, daß Catterinas Gesicht unter dem wuchtigen Stoffbündel nichts von der behäbigen, unerschütterlichen und meist wohl auch etwas dümmlichen Selbstzufriedenheit ausstrahlte, welche die Hofdamen durchwegs zur Schau trugen, und die voreingenommene Leute wie Don Francesco kurz und gnadenlos als Dünkel bezeichneten. Don Raffael teilte die Ansichten seines Bruders in diesem Punkt nur sehr bedingt und erwartete sich jedenfalls von dieser hoffähigen Eigenschaft weniger unliebsame Überraschungen als von jener, die in Catterinas jäh entblößtem Gesicht erstmals unübersehbar zutage trat. Nie zuvor war ihm aufgefallen, wie sehr Catterina ihrem Vater ähnelte, und daß der beherrschende Ausdruck ihres Gesichts — wie bei ihrem Vater — der einer ungezügelten Leidenschaftlichkeit war. Die mißliche Entdeckung ließ ihn ein wenig schaudern und weckte unwillkürlich böse Vorahnungen; er wandte sich deshalb an die Herzogin und bemerkte halblaut: "Was habt Ihr da gemacht? Sie sieht aus wie ein Falke, den man in einen Hühnerkäfig gesperrt hat!"

Laura Asturini faßte das nicht zu Unrecht als Kritik auf und erwiderte pikiert, sie frage sich wirklich, wo Don Raffael seine merkwürdigen Vergleiche hernehme; und Catterina, die dem Wortwechsel aufmerksam gefolgt war, fühlte sich noch unbehaglicher als zuvor, ein Umstand, der nicht dazu beitrug, ihren beklagenswerten Mangel an Selbstsicherheit zu beheben.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
10. Gift und Galle/A