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TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

13    Aphrodite


 
 
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Der Morgen begann so trübselig, wie der Abend zuende gegangen war. Von seiner Erschöpfung überwältigt, hatte Don Raffael wie ein Toter geschlafen und Catterina noch nicht einmal im Schlaf berührt. Er erwachte erst, als sein Kammerdiener ihn weckte, fühlte sich erholt und sprang eilig aus dem Bett, schon bevor sein Diener das Zimmer verließ. Zum Frühstück eine gute Stunde später erschien er auffallend prächtig gekleidet. Er zeigte erstmals wieder Appetit, aß jedoch hastig und erklärte Catterina zwischendurch, daß der angebrochene Tag mit Verpflichtungen vollgestopft sei.

Während er sich ankleidete, habe er um eine Audienz beim König nachsuchen lassen und sie noch für diesen Morgen bewilligt bekommen. Dies werde zur Folge haben, daß er mit seinen Geschäftsangelegenheiten, von denen einige schon am Vortag liegen geblieben seien, noch weiter in Verzug gerate. Er halte es jedoch für eine abscheuliche Unsitte, Bittsteller und Verhandlungspartner zu wiederholten Metzgersgängen zu zwingen, und hoffe deshalb, Catterina werde es ihm nicht übelnehmen, wenn er abermals mit einer mindestens zweistündigen Verspätung zum Mittagessen erscheine. Auch die Reitstunde, die er Catterina für diesen Tag versprochen — Catterina hätte eher gesagt, angedroht — hatte, könne nur mit Verspätung stattfinden und werde kürzer ausfallen als geplant. Denn er habe beschlossen, Catterina schon an diesem Abend in die Salons hinunterzuführen, und wolle vorher noch die nötigen Einzelheiten mit ihr besprechen. Allzulange könne aber auch der Besuch in den Salons nicht dauern, da sie ja im Anschluß daran bei Don Francesco zu Abend essen sollten.

Nachdem er Catterina dieses Programm verkündet hatte, ging Don Raffael seiner Wege, und Catterina brachte eine Geschichtsstunde hinter sich, bei der sie ein übriges tat, ihr Unglück noch zu vergrößern, indem sie den Professor nach der Lex Lorenzo befragte. Während sie ihr Anliegen vortrug, beobachtete sie fasziniert, wie eine weitere Prophezeiung Don Raffaels prompt in Erfüllung ging: ihre Frage brachte den Gelehrten erkennbar zum Erröten. Er antwortete zu Beginn betont steif und zurückhaltend, und da er ihr auf diese Weise nichts mitteilte, was sie nicht schon wußte, war Catterina gezwungen, ihn mehrmals zu größerer Ausführlichkeit aufzufordern. Endlich aber siegte sein lebhaftes Temperament über seine Bedenken, und er hielt einen längeren, ziemlich verworrenen Vortrag, den Catterina nur teilweise verstand, dessen Abschluß ihr aber lange im Gedächtnis blieb. Einen Skandal nämlich und eine Schande der Gesetzbücher nannte der würdige Herr die Lex Lorenzo, eine Ausgeburt kopfloser Familienpolitik und eine Gefahr für den inneren Frieden. Es sei schon hochgradig verantwortungslos, einen Bastard zum Thronfolger zu ernennen, aber nun gar einen Sohn dieses Bastards mit einer Bäuerin —! Die Zunge sträube sich geradezu, einen so abwegigen Gedanken auszusprechen! Und völlig undenkbar sei es, daß der Thronrat sich jemals mit einem solchen aus dem Schmutz Noya Tereas hervorgegangenen König abgefunden hätte; ganz zu schweigen davon, daß man angesichts der in Noya Terea herrschenden Sitten — besser gesagt, der dort grassierenden Unsittlichkeit — niemals sicher hätte sein können, daß dieser König wirklich der Sohn seines nominellen Vaters war! Wenn der Thronrat in jenen Tagen einem Gesetz zugestimmt habe, das die Grundfesten der staatlichen Ordnung derart erschütterte, dann könne er es nur in der Absicht getan haben, die Anwendung dieses Gesetzes niemals zu dulden und sie zum Vorwand für die Entfesselung eines neuerlichen Bürgerkriegs zu nehmen.

Es war ein vernichtendes Urteil, und Catterina empfand es als solches. Sie bezog jedes Wort davon auf sich, und es traf sie wie eine Reihe aufeinanderfolgender Keulenschläge. Die Frage, ob der Geschichtsprofessor hier seine eigene Meinung vertrete, war vorerst die einzige Gegenwehr, zu der sie sich aufraffen konnte. Sie erhielt darauf die wenig ermutigende Antwort, dies sei zwar der Fall, doch wisse der Geschichtsprofessor sich dabei in Übereinstimmung mit der Mehrheit seiner Fachkollegen; und er würde in jedem Fall nicht gewagt haben, seine Ansicht zu äußern, wenn er nicht aus zuverlässiger Quelle wisse, daß sie auch die Meinung des Königs sei.

Der Toskanischlehrer, dem Catterina in der Folge überlassen wurde, mußte mit einer unaufmerksamen Schülerin vorlieb nehmen. Während sie mechanisch die Vokabeln und Sätze nachbetete, die er ihr vorsprach, kam Catterina durch gründliche Überlegungen zu dem Schluß, daß Don Raffael sie in der Hochzeitsnacht belogen haben mußte: es war unmöglich, daß er den Wunsch hegte, Kinder mit ihr zu zeugen, die doch nie als vollwertige Mitglieder seiner Familie gelten konnten! Sein Fall war vielleicht weniger kraß als der des ominösen Lorenzo Barri, aber immer noch heikel genug: Don Raffael war der Sohn einer bürgerlichen Mutter, die Rechtmäßigkeit seiner Geburt ließ sich anscheinend in Zweifel ziehen, und von ihrer, Catterinas, Abstammung sprach man besser gar nicht! Don Raffael mußte seine Ehe von vornherein als Scheinehe geplant haben, und es lag auf der Hand, daß er nach Ablauf der Fünfjahresfrist auf die Scheidung dringen würde, um eine Frau aus dem Hochadel zu heiraten und vollwertige legitime Kinder zu haben. Wenn er aber in dieser Sache gelogen hatte, in welcher anderen hatte er dann die Wahrheit gesagt? Fest stand nur, daß er der Urheber des verwerflichen Spiels war, das man mit ihr, Catterina, trieb.

Als Don Raffael mit mehr als dreistündiger Verspätung zum Mittagessen erschien, begrüßte Catterina ihn merklich zurückhaltender als am Vortag. Ihr Gruß wurde indes von seiner Seite mit der gleichen Herzlichkeit aufgenommen wie am Vortag, und Catterina mußte verwirrt erleben, daß ihre Empörung und alle ernüchternden Einsichten der vergangenen Stunden dieser Umarmung nicht standhielten: sie wurden augenblicklich von einer Welle überschäumenden Glücks fortgeschwemmmt. Die Zeit des Mittagessens verbrachten sie daher in ungetrübter Harmonie; sie sprachen über die bevorstehenden Jubiläumsfeierlichkeiten und das Pferd, das Catterina am Nachmittag reiten sollte, und Catterina profitierte von Don Raffaels wiedererwachtem Appetit durch eine erheblich erweiterte Auswahl an Gerichten.

Die Reitstunde fand im Anschluß an das Mittagessen statt, sobald Catterina sich dafür umgekleidet hatte, und bestätigte alle Zweifel und Befürchtungen, mit denen sie in den Reithof hinunterging. Das Pferd — Don Raffael hatte ihr versichert, es sei das frömmste, das sich in den königlichen Ställen auftreiben ließ — schien ihr furchteinflößend riesig und unberechenbar; es strömte einen widerwärtig beißenden Geruch aus, und das Sitzen im Sattel war schon anstrengend und höchst beschwerlich, wenn das Tier darunter sich noch gar nicht bewegte. Überhaupt, dieser Sattel! Er war eine unerhörte, frisch vom Kontinent importierte Novität, ein sogenannter Damensattel, so monströs und unbequem konstruiert wie Laura Asturinis Haube. Sinnreich allenfalls als Folterinstrument, konnte er eine Dame möglicherweise durch die Gewißheit, einen graziösen Anblick zu bieten, für die Verrenkungen entschädigen, die er ihr aufzwang; aber da Catterina kaum fähig war, sich darauf im Gleichgewicht zu halten, wurde sie dieser schönen Gewißheit nicht teilhaftig. Und so zog sie auch keinerlei Trost aus dem Umstand, daß sie ihre ersten Reitversuche vor den Augen von mehr als hundert fürstlichen Soldaten unternehmen mußte, die aus Sicherheitsgründen jeden strategisch wichtigen Punkt des Reithofs und der umliegenden Gebäude besetzt hielten.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
13. Aphrodite/A