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TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

6    Das
          Hochzeitsfest


 
 
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Catterina Athenaïs erwachte aus einem Traum, in dem ein grün und blau geflecktes Teufelchen sie mit einem Dolch in der Hand verfolgte. Sie erwachte, als der Verfolger sie eben eingeholt hatte und nach ihr griff — doch statt auf sie einzustechen, wie sie erwartet hatte, faßte der Unhold lediglich nach ihrer Schulter und begann sie zu schütteln. Es war kein angenehmer Traum, aber Catterina erwachte trotzdem mit dem Gefühl, daß sie unbedingt weiterschlafen müsse. Sie öffnete unwillig die Augen und stellte fest, daß zumindest ein Bestandteil des Geträumten der Wirklichkeit angehörte: Don Raffael stand vor ihr und rüttelte sie leicht an der Schulter.

"Ist es schon Mittag?" fragte Catterina verschlafen. Ihr war übel, und sie verspürte nicht die geringste Lust, einen neuen Tag mit neuen Unbegreiflichkeiten auf sich zu nehmen. Sie wollte nur weiterschlafen und nichts mehr von sich wissen.

"Es ist noch gut eine Stunde bis Mittag," sagte Don Raffael, "aber mir bleibt noch etwas zu tun, und dabei benötige ich leider Eure Hilfe." Catterina setzte sich gehorsam auf und betrachtete Don Raffael, der mit nacktem Oberkörper vor ihr stand, in der Gewißheit, daß das nächste beklemmende Ereignis bereits begonnen hatte.

Sie täuschte sich keineswegs. Schon während sie aus dem Bett stieg und sich in den Umhang helfen ließ, sah sie, daß Don Raffael das Tischchen, das zur Nachtzeit neben ihrem Sessel gestanden war, zum Bett gerückt hatte. Auf dem Tischchen befanden sich mehrere Utensilien: eine brennende Kerze, Don Raffaels Dolch, ein Gefäß mit Wasser, leinene Tücher und ein Schrägband aus dem gleichen Material, das Don Raffael ihr jetzt in die Hand drückte mit der Bitte, es so fest wie möglich um seinen linken Oberarm zu binden. Catterina tat wortlos, was er verlangte, und beschloß dabei, sich in Zukunft über gar nichts mehr zu wundern. Stumm sah sie daher auch zu, wie Don Raffael die Bettdecke zurückschlug, mit der rechten Hand nach dem Dolch griff und ihn über die Kerzenflamme hielt. "Wißt Ihr," sagte er dabei, "Don Francesco schwört darauf, daß Schmutz die Ursache aller Krankheiten ist, und bisher hat noch niemand bewiesen, daß er sich irrt. Und ich bin leider sehr anfällig für Wundfieber." Er zog den Dolch von der Flamme zurück, betrachtete ihn prüfend und schien mit dem Ergebnis der Musterung zufrieden. "Könnt Ihr den Anblick von Blut vertragen?" fragte er dann. "Wenn nicht, solltet Ihr Euch jetzt ins Ankleidezimmer zurückziehen."

Catterina, die ihrem Vorsatz, sich nicht mehr zu wundern, bereits untreu geworden war, schüttelte den Kopf und fühlte sich außerstande, der Empfehlung Folge zu leisten. Schweigend, aber mit schreckgeweiteten Augen beobachtete sie, wie Don Raffael sich ohne ein wahrnehmbares Zögern und ohne dabei auch nur das Gesicht zu verziehen, den Dolch in den Ellbogen des linken Arms stieß und einen kurzen Schnitt machte, aus dem augenblicklich das Blut hervorquoll. Er stand dabei ein wenig über das Bett gebeugt und hielt den verletzten Arm so, daß das herabrinnende Blut ins Bett lief, ungefähr an der Stelle, wo Catterina zuvor gelegen war.

Allmählich begann Catterina zu begreifen, welchem Zweck dieses Manöver diente. Sie schüttelte wieder den Kopf und legte unwillkürlich die Hand auf ihre beengte Kehle. Nach einer Weile, als die Blutflecken im Bett ihm offenbar groß genug erschienen, tauchte Don Raffael eines der vorbereiteten Tücher ins Wasser und versuchte die Blutung damit zu stillen. Das gelang ihm nicht sofort; er warf das blutgetränkte Tuch daher ins Bett und nahm ein zweites zu Hilfe. Diesmal war er erfolgreicher, und Catterina beobachtete, immer noch starr und sprachlos vor Entsetzen, wie er mit zwei weiteren Tüchern einen Verband anfertigte, dessen Knoten er mit den Zähnen zuzog. An der Geschicklichkeit, mit der er dabei zu Werke ging, ließ sich leicht erkennen, daß er dergleichen nicht zum ersten Mal tat.

Es gelang ihm sogar, das Band um seinen Oberarm zu lösen, ohne Catterinas Hilfe erneut in Anspruch zu nehmen; dann versuchte er alle verräterischen Spuren der Unternehmung zu beseitigen. Das Band und ein weiteres Tuch, mit dem er den Dolch gesäubert hatte, landeten im immer noch brennenden Kaminfeuer — er mußte, während Catterina schlief, mindestens einmal aufgestanden sein, um Holz nachzulegen —, und das Tischchen wurde mit Catterinas Hilfe an seinen ursprünglichen Platz zurückbefördert. Übrig blieb zuletzt nur das blutige Tuch im Bett, und Catterina begriff ohne Mühe, daß es unnötig war, dieses Beweisstück zu vernichten, da man ihm die Art und Weise seines Zustandekommens nicht ansah: es würde im Gegenteil sogar eine glaubhafte Erklärung dafür liefern, daß ihr Körper keine Blutspuren aufwies.

Da sie nicht in das blutbefleckte Bett zurückkehren konnte, setzte Catterina sich in den Sessel, in dem sie einen Großteil der Nacht zugebracht hatte. Während des ganzen Vorfalls hatte sie kein Wort gesprochen und nicht einmal einen Schreckenslaut von sich gegeben; aber das Entsetzen stand ihr so unverkennbar ins Gesicht geschrieben, daß Don Raffael sich nicht zurückhalten konnte, wieder einmal mit dem Handrücken über ihre Wange zu streichen und in tröstendem Ton zu sagen: "Seid nicht so erschrocken! Ich habe mir beim Fechten schon weit schlimmere Verletzungen zugezogen, und das Ganze entspricht, wie Ihr eigentlich wissen solltet, einer medizinischen Behandlungsmethode, von der die Ärzte behaupten, daß sie Gesunden und Kranken gleichermaßen zuträglich sei. Natürlich ist ein Dolch nicht gerade das geeignete Instrument dafür, und ich bin wohl auch weniger geschickt als ein erfahrener Arzt; aber gegen Unfälle hatte ich mich ja durch das Abbinden des Arms abgesichert — und, glaubt mir, es wird mich mit Sicherheit nicht umbringen."

Catterina, die an dem Geschehen nichts grausiger fand als die Kaltblütigkeit, mit der Don Raffael zu Werke gegangen war, hielt diesen neuerlichen Beweis seiner Gelassenheit nicht für einen Anlaß, sich zu beruhigen. Immerhin vermochte sie ihr Entsetzen zu unterdrücken, und nach einem kurzen innerlichen Kampf fragte sie lediglich: "War das denn nötig?"

"Es war sogar völlig unvermeidlich, und aus zwei Gründen," versicherte Don Raffael. "Zum einen wird der Zustand dieses Lakens spätestens eine Stunde, nachdem wir das Zimmer verlassen haben, Stadtgespräch sein! Wir könnten es genausogut gleich aus dem Fenster hängen, wie das in den Dörfern allgemein Brauch ist. Ich habe mich schon öfter gefragt, was die Leute eigentlich anstellen, um dabei ein vorzeigenswertes Ergebnis zu erreichen; denn meiner Erfahrung nach fließt bei diesem Vorgang kaum je genug Blut, um damit Staat machen zu können! Deshalb wäre die Operation vermutlich auch dann notwendig geworden, wenn das Ereignis, das ich vorzutäuschen versuche, tatsächlich stattgefunden hätte. Denn es wäre, gelinde gesagt, weder Eurem noch meinem Ruf auch nur im mindesten zuträglich, wenn sich über unsere Hochzeitsnacht nichts Befriedigendes und Unbezweifelbares berichten ließe."


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
6. Das Hochzeitsfest/A