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SCHLUSS
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

6    Das
          Hochzeitsfest


 
 
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"Ich wußte nicht, daß Ihr mit dem Sior Rascari befreundet seid," sagte Catterina, verwundert darüber, daß sie diesen Umstand niemals hatte erwähnen hören.

"Ich gebe mir ja auch Mühe, es nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen," antwortete Don Raffael und unterdrückte ein Gähnen. "Es ist ein zweifelhaftes Glück, wenn man jemand den Neid seiner Mitbürger zuzieht, indem man ihn unübersehbar bevorzugt. Übrigens habt Ihr seit gestern bereits zweimal Dinge getan, die geeignet waren, den Sior Rascari in Verlegenheit zu bringen: zum einen habt Ihr ihn bei dem Empfang in der Casa della Torre auffallend freundlich gegrüßt — ein Gunstbeweis, der notwendigerweise jedes Lästermaul der Stadt in Bewegung setzen muß; zum anderen aber fällt Euer Benehmen dem Stadtvorsteher gegenüber auf den Sior Rascari zurück, da er als Organisator des Balls für die Art und Weise verantwortlich ist, in der Euch dieser Apfel überreicht wurde. Im ersten Fall kann man Euch jedoch Unerfahrenheit zugute halten und im zweiten Unkenntnis der Sachlage; beides wird wohl keine allzu weitreichenden Folgen haben, und der Sior Rascari wird Euch gewiß nichts nachtragen."

Während er sprach, war Catterina in beträchtliche Bestürzung geraten. "Ich wußte nicht —" sagte sie unglücklich, "und ich wollte auch gewiß nicht..."

"Natürlich nicht," versetzte Don Raffael beschwichtigend, "Ihr braucht das nicht eigens zu beteuern! Nur wird diese Sache Euch vielleicht helfen, die Beweggründe meines Handelns besser zu begreifen. Fast ebensolange wie ich in der Öffentlichkeit lebe, leide ich unter der Furcht, daß jeder meiner Schritte und jede meiner Bewegungen möglicherweise ein Erdbeben auslöst! Das veranlaßt mich häufig zu übervorsichtigem Handeln; wenn ich ehrlich bin, muß ich allerdings zugeben, daß meine Vorsicht selten ein Unglück verhütet hat."

"Ihr macht mir angst," sagte Catterina leise, "Ihr hättet mich nicht in eine Lage bringen dürfen, der ich so wenig gewachsen bin."

"Niemand ist dieser Lage wirklich gewachsen; und es ist wohl das beste, sich so zu behelfen, wie Don Francesco es tut — indem man gar nicht darüber nachdenkt! Jedenfalls wollte ich Euch nicht in Angst versetzen. Wenn Ihr aber wirklich Wert darauf legt, meinen Wünschen entsprechend zu handeln, solltet Ihr stets bestrebt sein, Eure Gefühle und vor allem Eure Abneigungen und Vorlieben nicht allzu offen zu zeigen. Das gilt besonders für Euren Umgang mit der Hofgesellschaft. Man setzt sich unweigerlich der Gefahr aus, in alle möglichen Intrigen hineingezogen zu werden, und wird umso angreifbarer, je aufrichtiger man sich verhält; und eine Freundschaft oder Feindschaft, die man zur Schau trägt, ist bestenfalls wirkungslos, wenn nicht sogar gefährlich."

"Da ich ohnehin kein Mitglied der Hofgesellschaft näher kenne, werde ich wohl in nächster Zeit kaum Gelegenheit haben, gegen diese Regel zu verstoßen," stellte Catterina fest. Ihr schwacher Versuch, sich zu beruhigen, wurde aber unverzüglich zunichte, als Don Raffael sehr höflich einwandte: "Verzeiht mir, wenn ich Euch widerspreche! Ihr kennt zumindest schon die Herzogin, und die Tatsache, daß Ihr sie verabscheut, dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nur in Valanta, sondern auch in Atthagra allseits bekannt sein."

Von dieser neuerlichen Schreckensnachricht vollkommen niedergeschmettert, saß Catterina geraume Zeit mit hängenden Schultern da. Schließlich sagte sie: "Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich soviel Grund gehabt, mir unbeholfen und strohdumm vorzukommen, wie in diesen letzten zwei Tagen! Es war wirklich sehr unrecht von Euch, mich in eine solche Lage zu bringen!"

"Eure Aufregung ist ganz unbegründet, glaubt mir!" behauptete Don Raffael und lächelte. "Und außerdem, ich schwöre es Euch, hätte ich mich keineswegs für diese Heirat entschieden, wenn mein Vertrauen in Eure Fähigkeit, fehlendes Wissen zu erwerben, nicht so unbegrenzt wäre, wie es ist! Natürlich flößt all das Neue und Ungewohnte Euch jetzt Schrecken ein; aber schon in ein paar Monaten wird Euch diese Angst lächerlich vorkommen. Jedenfalls habt Ihr Euch bisher mit bemerkenswertem Geschick verhalten, und was nun gar Euren Streit mit der Herzogin angeht, so trifft die Schuld daran zur Gänze die Herzogin selbst. Sie hatte fraglos die Möglichkeit, ihn zu vermeiden; und wenn sie nur einen Funken Verstand besäße, hätte sie sich sagen müssen, daß sie nichts dabei gewinnen konnte. Ihr dürft mir jedenfalls glauben, daß ich ihr die nötigen Vorwürfe nicht erspart habe."

Diese Bemerkung rief bei Catterina eine jähe Regung des Mitleids für Laura Asturini wach. Sie begriff zwar noch immer nicht, worauf ihre Überzeugung, daß Don Raffael äußerst unangenehm werden könne, sich eigentlich gründen ließ, und es erfüllte sie zudem mit Befriedigung, aus seinem eigenen Mund zu erfahren, daß seine bedrückende Geduld und Großzügigkeit Grenzen hatte; dennoch war die Gewißheit, Don Raffaels Wohlwollen stelle ihre einzige Zuflucht in einer Lage dar, die ihr zunehmend bedrohlich schien, ihr bereits in Fleisch und Blut übergegangen, und sie hielt den Verlust dieses Wohlwollens daher ganz unwillkürlich für eine Katastrophe.

Schaudernd gelangte sie zu der Einsicht, daß die ganze Unterredung von Anfang an nichts weiter gewesen war als ein angstvolles Forschen nach den Grenzen von Don Raffaels Wohlwollen; denn im Grunde war es doch ein unnatürlicher und unerträglicher Zustand, daß sie Hilfe und Zuflucht gerade bei dem Erzfeind suchen mußte, der sie überhaupt erst dahin gebracht hatte, Hilfe und Zuflucht zu benötigen! Im Interesse ihres Seelenfriedens schien es Catterina unbedingt erforderlich, den Feind dazu zu zwingen, daß er sich wie ein Feind benahm; gleichzeitig aber graute ihr gewaltig vor dem Moment, wo die Maske fallen und der notwendige Umschlag in seinem Benehmen stattfinden würde; ja, bereits die dumpfe Ahnung dieser Notwendigkeit vermochte ihr Furcht und Schrecken einzuflößen.

Verglichen mit den Gefühlen, die sie in der Nacht zuvor beim Eintritt in das Schlafzimmer bewegt hatten, hatte Catterina damit sicherlich eine neue Stufe der Angst erklommen. Aber diese Angst schüttelte sie ebensosehr wie die weniger subtile der letzten Nacht; und so saß sie zitternd mit gesenktem Kopf und angezogenen Knieen da und überlegte verzweifelt, wie sie sich mit einigem Anstand aus der Klemme heraushelfen sollte, in die sie hier durch eigene Schuld geraten war — denn schließlich hatte niemand sie gezwungen, dieses Gespräch zu beginnen!

Don Raffael beobachtete verblüfft, wie eine Bemerkung, die eigentlich dem Wunsch entsprungen war, Catterina zu beruhigen, dazu führte, daß sie sich wie ein verängstigtes Kind benahm. In einem solchen Fall versagte sogar seine zweifellos beträchtliche Menschenkenntnis; er vermochte Catterinas komplizierte Gefühle nicht zu durchschauen und saß eine Weile ratlos neben ihr. Endlich raffte er sich auf und verlangte ein wenig schroff zu wissen: "Nun erklärt mir aber, Liebste — was habe ich gesagt oder getan, das Euch so erschreckt?"

Catterina antwortete nicht, hob aber den Kopf und sah ihn an. Ihr Blick ließ sich tatsächlich nur mit dem eines verwundeten Tiers vergleichen, und Don Raffael, der sein Lebtag lang keinerlei Vergnügen an der Jagd gefunden hatte, war auch jetzt nicht imstande, diesen Blick kaltherzig zu ertragen. Sein Ärger verging, und er sagte reuig: "Jedenfalls war es unrecht von mir, mich auf ein solches Gespräch einzulassen! Ich hätte darauf bestehen müssen, daß Ihr Euch heute nacht nicht mehr den Kopf über Dinge zerbrecht, die sich ohnedies meist von selbst regeln!"

Catterina blieb stumm und war nicht einmal imstande, ihren Blick zu senken oder abzuwenden. Und nachdem Don Raffael eine Weile überlegt hatte, was er tun konnte, ohne sie noch mehr zu erschrecken, ergriff er schließlich ihre Hände, die sie über den Knieen verschränkt hatte, und zwang sie auf diese Weise, sich aus ihrer Erstarrung zu lösen. Dann legte er ihre Hände ineinander und umschloß sie sehr sanft mit seinen eigenen; und so wartete er schweigend, bis Catterina aufhörte zu zittern.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
6. Das Hochzeitsfest/S