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SCHLUSS
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

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Im übrigen waren die Kassandrarufe des Fürsten offenbar doch übertrieben gewesen: bei diesem Turnier ereignete sich ebensowenig wie bei jenem des Vortags ein tödlicher Unfall. Eine beträchtliche Anzahl von Teilnehmern mußte zwar mit mehr oder minder schweren Verletzungen vom Platz getragen werden; aber keiner starb an den Folgen der Verletzung, und niemand konnte im Nachhinein behaupten, das Turnier habe unter einem bösen Stern gestanden. Don Raffael selbst hatte nichts weiter als einige blaue Flecken davongetragen. Weder das noch seine offenkundige Erschöpfung noch der Zorn des Fürsten — Don Francesco hatte das Turnierfeld verlassen, ohne seinen Bruder eines Wortes zu würdigen — hinderte ihn daran, dem abendlichen Bankett im Hause des Stadtvorstehers in besonders gelöster und liebenswürdiger Stimmung beizuwohnen. Sein Glück über den Turniersieg mochte ein wenig naiv sein; mit Sicherheit aber war es ungeheuchelt.

Es gab indes eine Person in Valanta, die wohl noch mehr Grund hatte, sich über seinen Turniersieg zu freuen: Balthasar Benocchio. Don Raffael hatte ihn auf den Abend in die Casa Reale bestellen und dort bis spät in die Nacht warten lassen. Die Unterredung fand erst nach Don Raffaels Rückkehr von dem Bankett statt. Sie verlief nicht angenehm; weit unangenehmer wäre sie jedoch verlaufen, wenn Don Raffael durch eine Turnierniederlage zusätzlich verärgert gewesen wäre.

In Anbetracht seiner milden Stimmung beschränkte Don Raffael sich in seiner bösartigsten Bemerkung darauf, sein Erstaunen darüber zu bekunden, daß Balthasar Benocchio habe annehmen können, ein in Ungnade gefallener Hofmusikdirektor sei ihm als Schwiegervater weniger willkommen als ein zweitrangiger und betrügerisch handelnder Pfarrkirchenkantor. Er hielt allerdings auch sonst mit seiner Meinung über Balthasar Benocchios fachliche und charakterliche Mängel kaum hinter dem Berg und klärte ihn zuletzt über die katastrophalen Folgen auf, welche seine Unlauterkeit hätte haben können, wenn die Ehe nicht sofort vollzogen worden wäre: die Nichterwähnung des Adoptivvaters im Ehekontrakt sei als gravierender Formfehler zu werten, der ohne weiteres als Vorwand für eine gerichtliche Ungültigkeitserklärung des Ehevertrags hätte dienen können; und man dürfe vorausetzen, daß der König den erforderlichen Prozeß gerne führen würde!

Während des ganzen Gesprächs kam Balthasar Benocchio nur zu Wort, wenn es nötig war, Catterinas Darstellung zu bekräftigen, einige Details dazu beizusteuern und die wenigen Auskünfte zu geben, die Don Raffael drohend genug verlangte; und als er sich nach dieser zermürbenden Stunde auf den Heimweg machte, hatte er zumindest gelernt, Catterinas märchenhafte Eheschließung in einem weniger verklärten Licht zu sehen; sein Glück war verflogen — im Verein mit den übersteigerten Hoffnungen, zu denen er sich durch diese Heirat berechtigt gefühlt hatte.

Da Don Raffael sie gebeten hatte, vorläufig nicht zu Bett zu gehen, wartete Catterina in einem Salon der Casa Reale auf ihn, während er sich mit ihrem Vater befaßte. Sie saß etwas ratlos zwischen ihren drei Hofdamen, denn natürlich fand sie kein Gesprächsthema, über das sie sich mit diesen würdigen Matronen hätte unterhalten können. Die erzwungene Untätigkeit führte sie jedoch schnell zu einem Entschluß. Sie bat daher eine der Damen, ihr Papier, Tinte und Feder zu besorgen. Sobald sie das Gewünschte zur Verfügung hatte, trat sie damit an einen der Tische, und ohne sich um die verwunderten Blicke zu kümmern, die ihre Gesellschafterinnen tauschten, begann sie alsbald, Notenlinien auf den Blättern zu ziehen und diese auszufüllen, wobei sie alle fertiggestellten Blätter zum Trocknen nebeneinanderlegte.

Bei dieser Beschäftigung traf Don Raffael sie an, als er in den Salon zurückkehrte. So merkwürdig er ihr Gebaren fand, verlor er doch kein Wort darüber und bat Catterina lediglich, ihre Hofdamen hinauszuschicken. Auch als er mit ihr allein war, stellte er keine Fragen, sondern teilte ihr höflich mit, daß er keine Zweifel mehr an dem hege, was sie ihm über ihre Kindheit berichtet hatte, und daß diese Begebenheit, so betrüblich sie sei, die Heirat gewiß nicht verhindert hätte, wäre sie ihm früher bekannt gewesen. Und da er sich nicht darüber täuschen konnte, welchen Eindruck sein Benehmen Catterina vermittelt haben mußte, machte er sein Aufbrausen beim Frühstück zum Gegenstand einer formellen Entschuldigung.

Es war das erste Mal, daß Catterina ihm einigermaßen gelassen begegnete. Sie hatte allen Grund, mit den Ereignissen des Tages zufrieden zu sein. Ganz zu schweigen von der Hoffnung, die Musikakademie besuchen und Martin di Cabirezzo helfen zu können — von allen Geschenken, die man ihr gemacht hatte, waren dies die einzigen, die mit ihren wirklichen Wünschen zusammentrafen —, hatte sie auch erfahren, daß es ihr möglich war, dem gefürchteten Zorn Don Raffaels zu trotzen. Natürlich hatte sie das Glück gehabt, diese Erfahrung in einer Lage zu machen, in der sie sich völlig unschuldig an der Ursache seines Zorns fühlte; dennoch reichte das Erlebnis fast hin, sie von ihren Ängsten zu heilen.

Sie geriet auch nicht mehr in Gefahr, sich über die Hintergründe der erstaunlichen Bereitwilligkeit zu täuschen, mit der er begangene Fehler zugab und sich dafür entschuldigte. Sowenig sie von den Künsten des Fechtsports verstand, hatte sie Don Raffael an diesem Tag doch aufmerksam genug beobachtet, um zu bemerken, daß er es liebte, seine Gegner zu unbedachten Angriffen zu reizen, indem er sich scheinbar eine Blöße gab; aber wehe dem Gegner, der sich dadurch tatsächlich zu einem Angriff verleiten ließ! Und Catterina war durchaus fähig, Vergleiche anzustellen, die ihr begreiflich machten, daß Don Raffael im Alltagsleben mit anderen Mitteln fortsetzte, was er auf dem Kampfplatz mit soviel Erfolg zu praktizieren verstand. Zählte man zu allen gewonnenen Erkenntnissen noch die beruhigende Einsicht hinzu, daß Don Raffaels Großzügigkeit genau an demselben Punkt endete wie die gewöhnlicher Menschen — dort nämlich, wo sie ihm persönliche Opfer abverlangte —, so war nicht zu leugnen, daß Catterina in ihrem Bestreben, seine Handlungen und deren Gründe zu begreifen, ein gutes Stück vorangekommen war.

Daher erwiderte sie auf Don Raffaels Entschuldigung würdevoll, sie danke ihm dafür, daß er eine solche Entschuldigung überhaupt für nötig halte. Angesichts so bestürzender Enthüllungen scheine seine Erregung ihr vollkommen begreiflich, und sie trage ihm gewiß nichts nach. Und anschließend bat sie ihrerseits um Verzeihung für den Anteil, den sie unwissentlich an der Verheimlichung ihrer Lebensgeschichte gehabt hatte. Kurz, die eheliche Konversation hatte nunmehr einen Grad zuvorkommender Höflichkeit erreicht, der kaum noch zu überbieten war.

Höflich blieb Catterina auch, als sie die Blätter, auf denen die Tinte inzwischen getrocknet war, vom Tisch nahm, aufeinanderlegte und Don Raffael überreichte. "Ich hoffe, Ihr werdet mir die Bitte verzeihen," sagte sie, "aber Ihr habt heute morgen Zweifel an meinem Können geäußert, die mich erheblich mehr gekränkt haben als der Verdacht, Euch über meine Vergangenheit getäuscht zu haben. Ich habe deshalb versucht, Eurer Forderung entsprechend Beweise für meine Behauptungen zu liefern. Da Ihr die Bücher Martin di Cabirezzos entweder besitzt oder imstande seid, sie Euch zu beschaffen, habe ich hier drei Tänze aufgeschrieben, die zu meinen Werken gehören, und die Martin di Cabirezzo in seinem letzten Buch veröffentlicht hat. Alle übrigen Blätter enthalten die Grundthemen jener Ostergesänge, die vor acht Jahren in der Hofkirche aufgeführt wurden. Die fragliche Messe dürfte in den Archiven des Hofmusikamtes ohne weiteres auffindbar sein: ich bitte Euch daher, die nötigen Vergleiche anzustellen. Die Übereinstimmung wird zwar nicht vollständig sein, denn selbstverständlich bin ich heute in der Lage, manches besser zu machen; aber ich bin sicher, daß sie groß genug ist, um Euch zu überzeugen."

Wieder einmal sagte sie etwas Verblüffendes mit großer Natürlichkeit. Aber Don Raffael, der im Lauf des Tages ebenfalls etwas über Catterina gelernt hatte, besaß die Geistesgegenwart, die Blätter ohne ein Wimpernzucken entgegenzunehmen; und so endete dieser dritte Tag ihrer Ehe in größerer Harmonie als jeder andere zuvor.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
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