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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Das Turnier


(Auszug aus Kap. 7)


 
 
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Catterina hatte am Vortag bereits einem Kampfspiel beigewohnt, das die Söhne der angesehensten Kaufmannsfamilien Valantas abhielten, und hatte am Ende der Veranstaltung die Ehre gehabt, einen Lorbeerkranz auf die beginnende Glatze des Siegers zu drücken. Daß sie Don Raffael den gleichen Dienst erweisen würde, hatte sie niemals bezweifelt, seit sie von seiner Absicht wußte, jenes zweite Turnier, an dem nur Adlige teilnehmen durften, durch seine Mitwirkung auszuzeichnen. Sein Sieg schien ihr ebenso unabwendbar wie jener des Theseus in der Festaufführung am Tag der offiziellen Hochzeitsfeier, und sie hielt sich nicht für eine Hellseherin, als ihre Vermutung Wirklichkeit wurde.

Aber bevor Catterina dazu kam, einen Lorbeerkranz auf die schweißnassen Locken Raffael de Roccaferratas zu setzen, lernte sie, die Angst des Fürsten von Orsino für begründet zu halten, und am Schluß des Turniers gestand sie sich widerwillig ein, daß Don Raffael, wenn sein Sieg das Ergebnis einer stillschweigenden oder offenen Übereinkunft unter den Turnierteilnehmern war, zumindest das Seine dazu getan hatte, die Vorspiegelung nicht als solche erkennbar werden zu lassen. Seine Meisterschaft im Umgang mit Hieb- und Stichwaffen ließ sich nicht bestreiten, und bei allen Kämpfen, die er ausfocht, legte er ein Verhalten an den Tag, das völlig unvereinbar schien mit der Sanftmut, die er gewöhnlich zur Schau trug. Die Tollkühnheit seiner Attacken überschritt nicht selten die Grenzen des Leichtsinns, und seine Kampfweise hatte mit dem, was Catterina unter Vorsicht verstand, so wenig gemein, daß sie nur hoffen konnte, er möge sich an die Versprechen, die er ihr gegeben hatte, mit mehr Gewissenhaftigkeit erinnern als an die Zusicherung, mit der er versucht hatte, seinen Bruder zu beruhigen. Wenn er seine Fechtkämpfe stets auf solche Art austrug, dachte Catterina, dann war es allerdings kein Wunder, daß er sich von Zeit zu Zeit, wie er es nannte, einen Kratzer zuzog. Verwunderlich war weit eher, daß er überhaupt noch lebte! Und obwohl die Angst, Witwe zu werden, Catterina wirklich kaum zu schaffen machte, konnte selbst sie ein gelegentliches Erschrecken nicht vermeiden, umso mehr, als Don Raffaels Lieblingstaktik offenbar darin bestand, einen Angriff erst im allerletzten Moment zu parieren, wenn bereits jedermann — und meist auch der Gegner selbst — an einen Treffer glaubte. Dem Manöver folgte beinahe jedesmal ein beinahe unmittelbarer Sieg über den verblüfften Gegner; aber mußte es deshalb so häufig eingesetzt werden?

Am folgenden Tag, während des Abendessens, wurde Catterina Zeugin eines heftigen Wortwechsels zwischen den Brüdern, bei dem Don Raffaels Auffassung von Vorsicht zur Diskussion stand. Und Catterina staunte nicht wenig, als sie begriff, daß Don Raffael überzeugt war, er habe sich bei diesem Turnier ganz besonders vorsichtig verhalten; kein noch so gewichtiges Argument des Fürsten konnte ihn zur Einsicht des Gegenteils bewegen, und er tat die brüderlichen Vorwürfe mit der hochmütigen Bemerkung ab, ein Laie könne eben die betreffenden Kampfsituationen nicht richtig einschätzen. Der Fürst faßte das Ergebnis der Debatte endlich in der Folgerung zusammen, Don Raffaels Definition unvorsichtigen Verhaltens beschränke sich augenscheinlich auf solche Fälle, wo ein Fechter ohne Gegenwehr in die offene Waffe seines Kontrahenten laufe. Diese mit äußerster Erbitterung vorgetragene Behauptung brachte Don Raffael aus unerfindlichen Gründen zum Erröten; er reagierte überraschend ärgerlich darauf und versetzte mit zornbebender Stimme, es gebe jedenfalls kein unfehlbareres Mittel, sich Verletzungen zuzuziehen, als eine Kampfweise, die Don Francescos Vorstellungen von Vorsicht gerecht werde! Wenn Don Francesco so großen Wert darauf lege, wolle er sich hinfort einer solchen Kampfweise befleißigen; die Ergebnisse werde man dann ja sehen! Danach verharrten die Brüder für den gesamten Rest des Abendessens in gekränktem Schweigen.

Auch bei diesem Streit waren Catterinas Sympathien eindeutig auf seiten des Fürsten. Hätte sie in jenen Tagen gelebt, wo junge Mädchen noch auf den Zuschauertribünen der Turnierplätze geduldet wurden, so wäre es ihr niemals in den Sinn gekommen, einen präsumtiven Ehemann lediglich deshalb abzulehnen, weil seine Kampfleistungen zu wünschen übrig ließen. Sie war auch bei derartigen Veranstaltungen eine undankbare Zuschauerin und geriet keine Sekunde lang in Versuchung, Don Raffael ob seiner Erfolge mit Lanze und Schwert zu bewundern. Da sie das ganze Turnier als sinnloses Spiel mit der Gefahr betrachtete, blieb sie völlig unempfindlich gegenüber seiner blendenden Erscheinung, seiner fechterischen Geschicklichkeit, seinen überlegenen Kampfstrategien und der bemerkenswerten Eleganz, mit der er sich trotz der Behinderung durch die Rüstung bei den Kämpfen bewährte: sein Verhalten schien ihr unbegreiflich und unverantwortlich und angesichts des vor Angst halbtoten Mannes an ihrer Seite auch vollkommen herzlos.

Don Raffael, der stets viel Zeit, Geld, Geduld und Überlegung auf seine Erscheinung verwandte, bot selbstverständlich auch bei diesem Turnier einen malerischen Anblick. Er trug mit Vorbedacht die Farben des Fürsten von Orsino, Schwarz, Blau und Gold. Wenn man Don Francesco glauben durfte, so erschöpfte die Wirkung der Turnierrüstungen sich im rein Dekorativen, und dekorativ war Don Raffaels Rüstung zweifellos; sie war vergoldet und blitzte bei jeder Bewegung im Sonnenlicht auf. Passend dazu ritt er einen schwarzen Hengst mit blauer Satteldecke. Auf seinem Schild aber stellte er das Wappen von Orsino zur Schau, einen schwarzen Bären in blaugoldenem Feld. Als einziges Zugeständnis an seine Familienzugehörigkeit hatte er drei Rosen im Schildrand anbringen lassen, die aber auffällig klein geraten waren, weil zwischen Beginn und Ende der wortreichen Turnierdevise kaum freier Platz übrig blieb. Sie verkündete gut lesbar in schwarzgerandeten Goldbuchstaben: si cogor sino numquam, "ich dulde niemals, gezwungen zu werden". Dieser Sachverhalt hätte sich gewiß eleganter formulieren lassen; aber dem Anklang zuliebe hatte Don Raffael ausnahmsweise einmal auf Eleganz verzichtet.

Es war ein Spruch, der Catterina viel Gelegenheit zum Rätselraten gab. Kein anderes Detail des Turniers vermochte ihre Aufmerksamkeit in ähnlich nachhaltiger Weise zu fesseln. Mühsam kramte sie ihre Lateinkenntnisse hervor, grub lange in den Tiefen ihrer Erinnerung nach der verschütteten Bedeutung des Wortes cogere, kämpfte noch eine Weile mit der holprigen Syntax; und unter Aufbietung aller Verstandeskräfte gelang es ihr schließlich, die Aussage halb zu verstehen, halb zu erraten. Sie erblickte darin eine gegen den Fürsten von Orsino gerichtete Herausforderung und war ehrlich empört über diese vermeintliche Demonstration mangelnder Bruderliebe.

Catterinas Unkenntnis der Hintergründe machte ein solches Mißverständnis entschuldbar. Don Raffaels Auftreten bei dem Turnier, sein Bekenntnis zu Orsino und die Verwendung einer so arroganten Devise waren gewiß als Herausforderung gedacht, — die aber — und darüber täuschten sich weder Don Francesco noch der in Wahrheit Betroffene — dem König galt. Es war eine sinnbildliche und sehr trotzige Ablehnung der königlichen Nachfolgepläne, und natürlich war es im Rahmen dieser demonstrativen Absage unbedingt nötig, daß Don Raffael als Sieger aus dem Turnier hervorging. Erst der Turniersieg machte den Triumph vollkommen; und der König verstand den Affront und die zugrundeliegende Absicht so gut, daß er in der Nacht, die dem Bericht dieser Ereignisse folgte, keinen Schlaf fand. In derselben Nacht erwies sich auch, daß Don Raffael wirklich zu tollkühn vorgegangen war; denn die Empörung des Königs war so groß, daß sie ihn bewog, einen übereilten und seiner sonstigen zögerlichen Handlungsweise zuwiderlaufenden Entschluß zu fassen, dessen Ausführung er schon am folgenden Tag in Auftrag gab, ohne einen seiner Ratgeber — er argwöhnte seit langem, daß sie alle in Don Francescos Sold standen — einzuweihen. Catterina war also mehr im Recht, als sie überhaupt ahnen konnte, wenn sie Don Raffaels Turnierauftritt mißbilligte: sie sollte unter den Folgen seines Leichtsinns noch zu leiden haben.

Am Ende des Turniers jedoch, als Don Raffael die Treppe zur Tribüne hinaufstieg, um seinen Lorbeerkranz abzuholen, war auch Catterina einen Moment lang geblendet. Erschöpft, verschwitzt und staubbedeckt, aber unverkennbar glückstrahlend, trat er aus dem gleißenden Sonnenschein unter den Schatten des Baldachins und brachte einen Schwall von goldenem Licht mit, das mehr aus ihm selbst als von der Sonne zu kommen schien. In der einen Hand den goldenen Helm mit dem schwarzen Federbusch, in der anderen den zerbeulten Schild, von dem die Farbe abgesprungen war, lichtumflossen, glich er tatsächlich einem Erzengel, der siegreich gegen die Dämonen der Finsternis gekämpft hat; und als Catterina den Kranz vom Kissen hob, wurde sie von dem Gefühl, eine feierliche Handlung zu vollziehen, so sehr überwältigt, daß ihre Hände ein wenig zitterten.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
7. Gefechte M