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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung. Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Vom Zorn
   des Zuschauers


(Auszug aus Kap. 15)


 
 
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Und so war es kein niedlicher, rosenwangiger, pfeilchenversendender Cupido, dem es glückte, ein Liebespaar aus Catterina und Don Raffael zu machen, sondern der blitzeschleudernde Gott des Zorns. Denn wenn es auch häufig zutrifft, daß kleine Ursachen große Wirkungen haben, so trat hier doch einmal der umgekehrte Fall ein, und Don Francescos Pläne — besser gesagt, deren Scheitern — bewirkten vorerst nichts weiter, als daß zwei junge Menschen in der Höhle zueinander fanden, in der sie vor dem hereinbrechenden Gewitter Unterschlupf gesucht hatten.

Als er seinen Zorn von der Kette ließ, verschaffte Don Francesco seinem Bruder nicht nur die Gelegenheit, sich Catterina als Ritter und Retter zu präsentieren, sondern versetzte ihn auch in jenen Zustand heftiger Bestürzung, in dem er sich stets nach einem Ratgeber oder wenigstens nach einer Vertrauensperson umzusehen pflegte. In den Tagen und Wochen nach der Hochzeit fand Don Raffael diese Rolle erstmals zu seiner vollen Zufriedenheit besetzt — von einer Frau, die mit gläubigen und zunehmend anbetenden Blicken an seinen Lippen hing und seine Bekenntnisse wie ein Schwamm in sich aufsaugte. Sie zeigte Teilnahme, aber mit Zurückhaltung, sie war interessiert, aber nicht inquisitorisch, und wo sie erschrak, da verfiel sie nicht in die hausbackene Entrüstung der Engstirnigen. Kurz, sie blieb kaum je in einer der zahlreichen Fußangeln hängen, mit denen Don Raffael Äußerungen gewappnet waren, und benahm sich so geschickt, daß er nie in die Verlegenheit kam, sich am nächsten Morgen für die Offenherzigkeit des Vorabends zu schämen — eine häufig zu beklagende Folge übereilter Vertraulichkeiten. Dies war die gefährlichste Klippe, welche die eben erst unter Segel gehende Freundschaft umschiffen mußte, und Catterina steuerte daran vorbei aufs offene Meer hinaus, ohne überhaupt etwas von der Existenz des Hindernisses zu ahnen. Und gewiß war es ihr Verdienst, wenn Don Raffael Erleichterung verspürte, als er über Dinge sprach, die er jahrelang für unaussprechlich gehalten hatte, und die Catterinas Fähigkeit, über den Rand ihrer bisherigen Weltvorstellung hinwegzublicken, vor eine schmerzhafte Bewährungsprobe stellten.

Aber Catterinas Verdienst zählte letztlich zu jenen, die ihre Belohnung in sich tragen. Denn wenn es auch Gift war, was Don Raffael in ihre Ohren träufelte, so fiel er der Krankheit, die es auslöste, doch gemeinsam mit ihr und in gleicher Weise zum Opfer. Es ergab sich als die natürlichste Sache von der Welt, daß er seiner Frau sein Herz öffnete, als er es ihr ausschüttete, daß er ihr zusammen mit seinem Vertrauen auch seine Zuneigung schenkte; und dieses gemächliche Zueinanderfinden lief so natürlich ab, daß er es selbst gar nicht wahrnahm.

Umso stärker nahm Don Francesco es wahr, dem die unerfreuliche Aufgabe zufiel, Abend für Abend die Fortschritte beobachten zu dürfen, welche die Vertrautheit zwischen seinem Bruder und seiner verehrten Schwägerin machte — und da waren tatsächlich jeden Abend Fortschritte zu bestaunen! Es wirkte ein wenig, als ob zwei Menschen eine steile Treppe hinaufsteigen, indem immer abwechselnd einer die nächste Stufe erklimmt und den anderen hinter sich herzieht. Abend für Abend wurde die Komplizenschaft zwischen beiden deutlicher erkennbar, und es hätte gar keines blutbefleckten Lakens und keiner geknickten Hutfedern bedurft, um Don Francesco davon zu überzeugen, daß das, was in Wirklichkeit immer noch auf sich warten ließ, längst geschehen war und beständig wiederholt wurde.

Don Raffael hätte keinen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können, sich unter den Augen seines Bruders zu verlieben. Der Fürst neigte zur Eifersucht; selbst in Zeiten großer Gemütsruhe fand er den Anblick jeglicher Vertrautheit zwischen Don Raffael und einer Person, die nicht er selbst war, schwer erträglich. Jetzt aber fühlte er sich doppelt verraten — nicht nur von Don Raffael, sondern auch von Catterina. Sie hatte ihm gefallen, als er sie kennenlernte, und er hatte in gutem Glauben behauptet, Don Raffael habe da ein Raubtier gefangen, dessen Zähmung mit Schwierigkeiten verbunden sein würde. Aber siehe da, Don Raffael brauchte den Käfig nur zu öffnen: schon stellte sich heraus, daß lediglich ein verschrecktes Vögelchen darin gewesen war, das sich in seiner Angst mächtig aufgeplustert und, kaum freigelassen, nichts Eiligeres zu tun hatte, als Don Raffael aus der Hand zu fressen!

Was Don Francesco früher nur zu einigen höhnischen Kommentaren über die Willensschwäche des weiblichen Geschlechts und die allzuleicht entflammbare Sinnlichkeit seines Bruders gereizt hätte, schmerzte ihn jetzt als Wiederholung seiner Niederlage in kleinerem Maßstab. So wie Catterinas Widerstand in sich zusammenbrach, so wie ihre rebellische Gesinnung sich in hirnlose Anbetung verwandelte — ebenso war er selbst, Don Francesco, ebenso war die Stadt Valanta den Verführungskünsten Don Raffaels erlegen; und da diese Künste offenbar niemals versagten, würden andere Menschen und andere Städte folgen. Aus beängstigender Nähe erlebte Don Francesco mit, wie mühelos Don Raffael seine Siege errang, und fühlte sich zum ersten Mal in seinem achtzehnjährigen Fürstenleben vollkommen mattgesetzt.

Man wird vielleicht meinen, daß der lange siedende Zorn überkochte, als Don Francesco von jenem Geschäft Valentin Rascaris in Piavara erfuhr, das so unverkennbar Don Raffaels Kopf entsprungen war. Aber man würde sich täuschen. Gewiß, während Zeit für andere Leute bloß Geld bedeutete, war sie für den sterbenden Fürsten von Orsino längst unbezahlbar geworden, und die Transaktion drohte den erfolgreichen Abschluß seiner Bestrebungen, das Kupfermonopol de jure zugesprochen zu bekommen, weil er es de facto schon besaß, um mehrere Wochen hinauszuzögern. Das war zweifellos ärgerlich; aber Don Raffael bewegte sich bei solchen Manövern auf einem Gebiet, auf dem sein Bruder allmächtig war. Ein paar Drohungen oder, im schlimmsten Fall, ein paar moderate Bestechungsgelder würden genügen, um das Geschäft — seiner formalen Unüblichkeit halber — durch einen Beschluß des Stadtparlaments von Piavara zum Platzen zu bringen. Bereits eine Stunde nach Erhalt der Nachricht hatte der Fürst alle dafür erforderlichen Anordnungen getroffen, mit großer Sachlichkeit und Präzision, und war wenig später noch zusätzlich durch die Entdeckung besänftigt worden, daß Don Raffael so unklug gewesen war, sich einer abgelegten Mätresse wegen die offene Feindschaft des Königs zuzuziehen.

Den verhängnisvollen Schritt, Rascaris Kredite zu kündigen, tat Don Francesco erst kurz vor dem Abendessen. Was den Anstoß dazu gab, war ein eilig angefertigter Bericht, der letzte, den er las, bevor er sich ins Speisezimmer führen ließ. Das Schriftstück stammte aus der Feder eines Höflings, der in den Salons Spitzeldienste verrichtete, und gab jenes Gespräch wieder, welches kurz zuvor zwischen Catterina und Bianca Barri stattgefunden hatte. Natürlich hatten sich bei der hastigen Redaktion Ungenauigkeiten und Abweichungen vom tatsächlichen Wortlaut eingeschlichen, die, unglücklicherweise, Catterinas Haltung noch freundlicher erscheinen ließen, als sie in Wahrheit gewesen war. Don Francesco las es mit Schaudern; die Schilderung eines Massakers hätte ihn weniger erregt. Hier hatte er nun den unumstößlichen Beweis dafür, daß die Menschen in den Händen seines Bruders Wachs waren; daß er schamlos Nutzen aus ihrer Zuneigung zog; daß es ihm Freude machte, sie Dinge tun zu lassen, die unvereinbar mit ihren Interessen und ihrer Selbstachtung waren. Binnen weniger Wochen hatte er Catterina, die ehedem selbstsicher, aufrichtig und unerschrocken gewesen war, in eine hilflose, biegsame Kleiderpuppe verwandelt. Nicht zufrieden damit, daß sie ihren Stolz aufgab, als sie sich in ihn verliebte, hatte er ihr offenbar Schritt für Schritt jeglichen eigenen Willen geraubt, bis sie zuletzt sogar ihre elementarsten Rechte als Ehefrau mit Füßen trat, indem sie sich bereitfand, eine Rivalin zu hofieren — und ausgerechnet Bianca Barri, die verworfenste Kreatur, die sich in den Salons überhaupt finden ließ!

So verhalf Catterina dem Fürsten von Orsino zu der Erkenntnis, daß Verführung die schlimmste Form der Gewalt ist, und zu dem Entschluß, Don Raffaels perfides Spiel nun keinen Moment länger mitzuspielen. Von diesem Entschluß beflügelt, sprang sein Zorn über die Hürde, die ihn bisher zurückgehalten hatte, und stürzte sich auf das erstbeste Opfer, das ihm vor die Zähne kam. Es war nur deshalb nicht Bianca Barri, weil ein Vorgehen gegen Valentin Rascari schon aus geschäftspolitischen Gründen zweckmäßiger schien. Rascari war ja ohnehin seit vielen Jahren ein Dorn in Don Francescos Auge und ein Gegenstand seiner Eifersucht, und die — längst vorbereitete — Drohung gegen Bianca Barri wollte er als letzte Trumpfkarte vorläufig noch im Ärmel behalten. Übrigens waren ihm keinerlei Bedenken gekommen, nachdem er den Schritt getan hatte; und hätte er Gewissensbisse empfunden, so hätte ein einziger Blick auf das verwirrte und verweinte Gesicht, mit dem Catterina sich zum Essen niedersetzte, ihn davon geheilt.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
15. Die Multiplikation der Wahrheit M