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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Ausflug
   nach Orsino


(Auszug aus Kap. 20)


 
 
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Im Gegensatz zu seiner Ankündigung ritt Don Raffael nicht zur Zaronta hinab, sondern auf dem kürzesten Weg zur Küste. In Sant'Olivero, einem Fischereihafen und Flottenstützpunkt, nahm er das Schiff, das er am vorhergehenden Abend durch seinen Boten hatte bestellen lassen. Don Francescos Behauptung, die Zarontamündung sei völlig unpassierbar, war zwar eine zweckdienliche Übertreibung, die er auch schon als Vorwand für die Verlängerung seines Aufenthalts in Corvalla genutzt hatte. Sie entsprach jedoch zumindest soweit der Wahrheit, als man mit Sicherheit weiter landeinwärts hätte reiten müssen, um den Fluß zu überqueren, und die gut fünfzig Kilometer, die in der Luftlinie zwischen Corvalla und Orsino lagen, hätten sich dabei leicht auf sechzig oder siebzig ausdehnen können. Andererseits machte das Hochwasser denjenigen Mündungsarm der Zaronta, der an Città del Castello vorbeifloß, nun auch für besonders große Ruderschiffe zugänglich, und Don Raffael hatte die Voraussicht besessen, ein solches zu bestellen. Voraussicht, denn wie sich erwies, war es ein fast windstiller Tag, und das Meer glatt wie ein Spiegel; aber trotzdem, und obwohl die Seereise eigentlich ein Umweg war, sparte Don Raffael mit dem Schiff mindestens zwei Stunden Reisezeit.

Ob der Zweck, für den er diesen Zeitgewinn nutzte, einwandfrei genannt werden durfte, war ein Problem, das er nicht einmal mit sich selbst erörterte. Er verbrachte sie in jenem Haus in Città del Castello, von dem Don Philipp Catterina erzählt hatte, mit drei der fünfzehn jungen Frauen, die ihm dort immer noch zur Verfügung standen. Der Harem, den sein Bruder aus hygienischen Gründen für ihn eingerichtet hatte, war ihm zwar schon seit Jahren nur noch als Notbehelf erschienen; aber gerade einen solchen hatte er jetzt bitter nötig. Als er Catterina versprach, sich mit seinen Seitensprüngen bis zur Rückkehr nach Orsino zu gedulden, hatte er nicht damit gerechnet, daß diese Rückkehr sich um mehr als einen Monat verzögern würde. Daß seine Heirat ihn wieder in täglichen Kontakt mit Bianca Barri bringen würde, hatte er ebensowenig vorausgesehen wie die Entwicklung seiner Gefühle für Catterina. Tatsache war indes, daß er sich mittlerweile wie ein Mann fühlte, der zwischen zwei Feuern langsam geröstet wird. Er mußte Abhilfe schaffen, und das so schnell wie möglich; andernfalls würde er früher oder später über die Frau herfallen, die jede Nacht ahnungslos und vertrauensvoll und meist auch noch nackt neben ihm im Bett lag. Während der Reise hatte sie zwar fünf Nächte lang ein Hemd getragen, weil sie ihre Regel hatte; aber das machte die Versuchung nicht geringer, eher im Gegenteil: Kleidungsstücke fordern von einem gewissen Moment an dazu heraus, geöffnet, hochgeschoben, auseinandergerissen zu werden...

Versprechen hin, Ehebruch her, der Besuch in Città del Castello war unvermeidlich und unter den obwaltenden Umständen auch gewiß der bei weitem harmloseste Ausweg. Don Raffael konnte keine der käuflichen Frauen in Corvalla aufsuchen, ohne Aufsehen zu erregen. Das Haus in Città del Castello dagegen ließ sich von Orsino aus auf einem kurzen, heckengesäumten Waldpfad erreichen: niemand außer den Soldaten in seiner Begleitung würde ihn dort bemerken. Anders als die Kurtisanen von Corvalla hatten die Frauen in diesem Haus kaum Kontakt zur Außenwelt, und die Soldaten konnte man zur Verschwiegenheit ermahnen. Selbst im schlimmsten Fall war der Klatsch, den er hier in die Welt setzte, nicht allzu fürchtenswert.

War es auch kein regelrechter Opfergang, so mußte es doch als reichlich fragwürdige Belustigung gelten. Dank der strengen Aufsicht, unter die Don Francesco es gestellt hatte, glich das Haus in Città del Castello eher einem Nonnenkloster als einem Bordell. Falls diese mehr oder minder hübschen Waisenmädchen aus Horena oder den umliegenden Fischerdörfern je einen Hang oder Talent für die körperliche Liebe besessen hatten, war ihnen beides gewiß ausgetrieben worden, lange bevor sie Don Raffael begegneten. Keine von ihnen war älter als sieben Jahre gewesen, als sie hier Aufnahme fand; soweit man sie unterrichtet hatte, hatte man ihnen Spinnen, Nähen, Sticken und Weben beigebracht, aber keinerlei Verführungskünste. Erfüllt von völlig unsinnlicher Ehrfurcht vor dem Herrn und Meister, dessen Sinnlichkeit sie befriedigen sollten, wurden sie ihrem Daseinszweck schon deshalb nicht gerecht, weil sie noch nicht einmal wußten, wie eine Frau einem Mann wenigstens den Eindruck vermittelt, daß sie an seinen Umarmungen Freude findet. Wenn Don Raffael nicht wollte, daß sie sich einfach zurücklegten, die Augen schlossen und die Beine spreizten, mußte er sie instruieren, und das war etwas, woran er ebensowenig Geschmack fand wie an dem unterwürfigen Pflichteifer, mit dem seine Anweisungen befolgt wurden. Zärtliche Vorspiele waren kläglich gescheitert und hatten bestenfalls zu kicherndem Unverständnis geführt. Noch unerfreulicher aber waren die Bemühungen verlaufen, durch Gespräche Vertrautheit zu schaffen. Alles, wovon diese Geschöpfe, deren Welt an der Gartenmauer endete, zu berichten wußten, waren Streitereien, Streitereien und nochmals Streitereien, die sie untereinander austrugen; und gewöhnlich gipfelten die Berichte in der Bitte, Don Raffael möge zugunsten der Appellantin in einen dieser Konflikte eingreifen: etwas, das er ganz besonders verabscheute. Er ging folglich in dieses Haus, wie man auf den Abtritt geht, und freute sich dabei stets auf den Tag, wo er alle Bewohnerinnen verheiratet oder sonstwie versorgt haben würde und es mit Frauen bevölkern konnte, die er selbst ausgesucht hatte — die dann aber keine Dauergäste mehr, sondern nur noch Durchreisende sein würden.

Bei diesem Kurzbesuch jedoch war er nicht so anspruchsvoll wie sonst. In aller Hast nahm er tatsächlich, was er bekommen konnte, hielt sich möglichst wenig mit Vorspielen und nie mit einem Nachspiel auf, tat ohne Umstände, was er zu tun hatte, und wechselte die Partnerin, sobald er damit fertig war. Als er den langweiligen Sündenpfuhl verließ, empfand er beim Abschied erstmals ein Gefühl des Bedauerns; nur die Zeitknappheit hatte ihn an einem vierten Anlauf gehindert. Zwei Stunden waren einfach nicht genug; noch nicht einmal zwei Tage hätten ihn vollständig für die lange Karenz entschädigen können. Er hatte versucht, in einer Pfütze zu schwimmen. Auf dem Rückweg, vom Schiff aus, warf er sehnsüchtige Blicke auf den Umriß von Horena, der ein schwarzes Zackenmuster in den blaugoldenen Abendhimmel schnitt, und erwog einen weiteren Kurzausflug — bei dem dann freilich der erotische Zweck den wirklichen verschleiern würde, statt wie diesmal umgekehrt.

Denn natürlich war er nicht eigens nach Orsino gereist, um die Anklageschrift gegen Bianca Barri zu vernichten — umso weniger, als er dieses angekündigte Vorhaben gar nicht ausführte. Er fand zwar beide Akten in dem bezeichneten Schrank, nahm sie heraus, zerbrach die Siegel und prüfte den Inhalt Blatt für Blatt, während das Kohlebecken geholt wurde, das er verlangt hatte. Aber zugleich ließ er noch einige Akten aus seinem Schreibzimmer bringen, weil er sie angeblich nach Corvalla mitnehmen wollte. Er blätterte auch diese durch, vertauschte dabei unauffällig eine der beiden Anklageschriften mit einer bereits erledigten Bittschrift — und verbrannte die Bittschrift anstelle des beiseite geschafften Dokuments. Die Anwesenheit von drei Sekretären und zwei Offizieren machte einen solchen Taschenspielertrick erforderlich. Don Francesco würde sich eingehend nach dem Ablauf des Vorgangs erkundigen, soviel stand fest, und Don Raffael legte deshalb Wert darauf, mehrere Zeugen zu haben, die bestätigten, daß er keinen Moment mit dem Aktenschrank alleingeblieben war; daß er wirklich nur zwei Mappen herausgenommen und deren Inhalt vernichtet hatte. Gewiß empfand er Bedauern, als er die Türen des Schranks wieder verschloß und all die Beweise für die Schuld seines Bruders unangetastet zurückließ. Aber jeder voreilige Griff in diesen Schrank wäre ein sinnloses Risiko gewesen; fürs erste gab es nur die eine Hoffnung, möglichst viel Kapital aus dem Dokument zu schlagen, das er in seinem Aktenbündel mit auf das Schiff nahm.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
20. Rösselsprünge M