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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Ein Tischgespräch
     in Piavara


(Auszug aus Kap. 20)


 
 
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Bianca Barri hätte obendrein gern auf die Ehre verzichtet. Von Don Francesco wahrgenommen zu werden, bedeutete, daß man sich seinen Launen unterwerfen mußte, und das konnte kostspielig werden, vor allem auf dieser Reise, wo sie die Natur bisher auch nur in Form klammer Finger, laufender Nasen, nasser Füße und dreckbespritzter Röcke kennengelernt hatte. Aus Sorge, das Kind könne sich erkälten, hielt sie es in der Sänfte stets so eng an sich gedrückt, daß ihre Arme beim Aussteigen ganz steif waren. Wie sollte sie da auf die Pfütze achten, die gerade vor ihren Füßen lag? Ihr Mantel starrte jeden Abend vor Schmutz, und dem Rock darunter erging es kaum besser. Sie besaß jetzt zehn weiße Kleider. Zwei davon sahen inzwischen so aus, als seien sie in Zukunft nicht mehr zu gebrauchen. Ihre Zofe mochte Wunder vollbringen, aber alle Schmutzränder konnte auch sie nicht aus den Stoffen bürsten. Bianca Barri hatte vorgehabt, mit diesen beiden Kleidern noch für den Rest der Reise auszukommen; denn sowie sie zur Haustür hinaustrat, konnte niemand mehr den Unterschied zwischen altem und neuem Schmutz erkennen. Wenn der Fürst aber hinfort Notiz von ihr nahm, würde sie verpflichtet sein, jeden Tag ein frisches weißes Kleid zu ruinieren. Sie hatte folglich nicht die geringste Absicht, sich beliebt zu machen, und hoffte immer noch, daß er nicht geruhen würde, sie eines Wortes oder auch nur eines Blickes zu würdigen.

Doch das war eine müßige Hoffnung. Nachdem er zwei Abende mit philosophischen Zwiegesprächen zugebracht hatte, war Don Francesco durchaus zu weniger geistreichen Unterhaltungen geneigt; und zudem war er neugierig. Er begann damit, seine Tischgenossinnen eingehend zu mustern, und verfiel dann darauf, einige ganz banale Fragen an die nahe bei ihm sitzende Claudia Asturini zu richten. Auch das war eine Premiere; denn als das junge Mädchen ihm am ersten Reisetag vorgestellt worden war, hatte er lediglich gesagt: "Schön, schön; ich hoffe, Ihr werdet Euch wohlfühlen," und sich sofort abgewandt, ohne auf eine Antwort zu warten.

Aber jetzt wollte er Antworten hören, und das arme Kind, das unter seinem bloßen Blick zu zittern anfing, war leider kaum in der Lage, sie ihm zu geben. Ob dies das erste Mal sei, daß sie Torrevecchia verlassen habe? J-ja, hoher Herr. Ob die Jubiläumsfeierlichkeiten ihr gefallen hätten? G-gewiß, hoher Herr. Wie ihr die Reise gefalle? G-gut, hoher Herr. Ob sie kein Heimweh nach Torrevecchia habe? Ein w-wenig, hoher Herr. Ob sie eigentlich immer so stottere? Hoher Herr —? Stottere sie stets so? Nervöses Kichern. N-nein, hoher Herr.

Don Francesco war nahe daran, die Augen zum Himmel zu verdrehen, und wandte sich wiederum ab, diesmal aber nicht gleichgültig, sondern unverkennbar angewidert. Das Verdammungsurteil war gefällt, und auch Don Raffael konnte es nicht abmildern, als er jetzt in die Bresche sprang und erklärte, die junge Nichte habe sich im Haushalt seiner Frau gewiß noch nicht richtig eingelebt, da sie bis zur Abreise aus Atthagra vorwiegend in den Räumen ihrer Stiefmutter gewohnt habe. Claudia Asturini befand sich fortan in der glücklichen Lage, von Don Francesco übersehen zu werden, und Bianca Barri hatte bald Grund, sie zu beneiden.

Da sie auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß, hatte er sie schon mehrfach — und zunehmend verwundert — betrachtet. Sie war nicht halb so hübsch, wie er sie sich gedacht hatte — aber auch nicht annähernd so vulgär. Don Francesco setzte kein Vertrauen in seinen Bruder, soweit es dessen Vorliebe für das andere Geschlecht betraf. Die wenigen Mätressen Don Raffaels, die er zu jenen Zeiten, als er noch häufig nach Atthagra reiste, mit eigenen Augen gesehen hatte, waren ihm stets hübsch, aber gewöhnlich, plump sinnlich und meist auch arg dumm erschienen, und er hatte geglaubt, daß Bianca Barri zwangsläufig eine Steigerung dieser Tendenz ins Extrem darstellte. So sah sie aber nicht aus. Das einzige, was an ihr aufreizend wirkte, war ihre Selbstsicherheit; und da Don Francesco wahrgenommen hatte, wie belustigt sie seinen Dialog mit Claudia Asturini verfolgte, beschloß er, sie zum Ziel seines nächsten Ausfalls zu machen. Er räusperte sich also und sagte: "Ich glaube, verehrte Donna Bianca, ich habe auch Euch noch nicht gefragt, wie Euch die Reise gefällt."

Diesmal hätte er gern gesehen, daß die Frau, die er ansprach, zusammenzuckte; aber Bianca Barri blickte nur überrascht auf, lächelte ihn verhalten an und erwiderte: "Hoher Herr, sie hat immerhin den Vorteil, daß sie die Vorfreude auf die Ankunft jeden Tag vergrößert."

Das klang ganz und gar nicht dumm. Don Francesco hielt sogar verblüfft inne, bevor er sich erkundigte: "Ihr habt also kein Heimweh?"

"Wonach sollte ich denn Heimweh haben, hoher Herr?"

"Nun, man hat mir gesagt, daß Ihr ursprünglich Bedenken hattet, die Stellung anzunehmen. Da liegt die Vermutung doch nahe, daß Ihr Euch nicht gern von Atthagra oder vom Hofleben trennen wolltet."

"In diesem Fall, hoher Herr, hätte man Euch besser auch die Gründe für meine Bedenken mitteilen sollen, die ich deutlich genug ausgesprochen habe. Der Wunsch, in Atthagra zu bleiben, befand sich nicht darunter."

"Ihr müßt Eure Gründe ja nicht vollzählig genannt haben."

"Dann, hoher Herr, möchte ich, mit Eurer Erlaubnis, hier und jetzt und ein- für allemal beschwören, daß ich kein Heimweh nach Atthagra habe."

Don Francesco empfand das als Schlag auf die Finger und machte Miene, das Gespräch abzubrechen. Aber nach einem kurzen Blick in die Runde, bei dem er kein lohnenderes Opfer entdeckte, versetzte er doch: "Ihr solltet nicht so leichtfertig Versprechungen für die Zukunft geben. Gewiß habt Ihr Euch noch keine rechte Vorstellung davon gemacht, wie eintönig und trostlos Ihr Orsino finden werdet."

"Das habe ich in der Tat nicht getan, hoher Herr — umso weniger, als ich mir jahrelang gewünscht habe, nach Orsino zu kommen."

Keine Frage, die Dame war nicht dumm — dafür aber reichlich dreist. Daß sie in aller Öffentlichkeit geradezu offen aussprach, welche Hoffnungen das Verhältnis mit Don Raffael bei ihr geweckt hatte, brachte Don Francesco so sehr aus der Fassung, daß er sie nur sprachlos über den Tisch hinweg anstarrte. Sie hielt seinem Blick unbeirrbar stand, und ihr Lächeln vertiefte sich merklich, als sie endlich erläuterte: "Ihr werdet Euch vielleicht noch erinnern, hoher Herr, daß Ihr vor viereinhalb Jahren bei einem Besuch in Atthagra Eure Theatertruppe an den Hof mitgebracht habt. Es war kurz nach meiner Heirat, und ich hatte das Glück, eine der beiden Aufführungen sehen zu dürfen — das beste Stück und die beste Aufführung, die ich je gesehen habe; und da es seither keine Möglichkeit mehr gibt, Eure Truppe woanders als in Orsino zu bewundern, mußte ich mir notgedrungen eine Reise nach Orsino wünschen, besonders, seit man mir erzählt hat, daß dort sogar Stücke gespielt werden, in denen Hofdamen sich wegen einer Kopfbedeckung in die Haare geraten."

"Das Stück, das Ihr da erwähnt, war nicht allzu schmeichelhaft für die Hofdamen, weder für die der einen noch für die der anderen Partei," wandte Don Francesco ein, sobald er sich von seiner Sprachlosigkeit erholt hatte.

"Das habe ich gehört, hoher Herr; aber es soll ein sehr lustiges Stück gewesen sein, und zur Not lache ich gern auch einmal über mich selbst — Hauptsache, es gibt etwas zu lachen."

"Die Oberste Hofdame sieht das ein bißchen anders als Ihr."

"Ich hoffe, hoher Herr, es ist kein Verbrechen, wenn ich die Ansichten der Obersten Hofdame in diesem Punkt nicht teile."

"Ein Verbrechen ist das wohl nicht; ich fürchte nur, Eure Ansichten weichen auch von denen des Königs ab. Wenn ich meine Truppe nie wieder an den Hof geschickt habe, dann lag das vor allem daran, daß Don Felizio von dem Stück, das Euch vor viereinhalb Jahren so gut gefallen hat, nicht im geringsten erbaut war."

"Nun, es war ja auch kein erbauliches Stück! Aber mir scheint, Erbauung sollte man lieber in der Kirche suchen als auf dem Theater, und die Theater hätten kaum soviel Zulauf, wenn sie dem Publikum nichts anderes bieten könnten."

Astorre da Chiaparvo machte Anstalten, in das Gespräch einzugreifen — wie auch nicht! Das bloße Wort "Theater" war ein rotes Tuch für ihn, und Bianca Barris ketzerische Äußerungen konnte er einfach nicht unwidersprochen hinnehmen. Betrüblicherweise stand Don Francesco aber jetzt nicht der Sinn nach einer weiteren Philippika zu Frivolität, Verworfenheit und Unmoral von Publikum, Autoren und Organisatoren. Sowie er sah, daß sein verehrter Lehrer den Mund öffnete, schnitt er ihm eilig das Wort ab, indem er sich bei Bianca Barri erkundigte: "Was hat Euch denn nun an diesem Stück so besonders gut gefallen?"


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
20. Rösselsprünge M